Anschlag auf Gemeindetreff in Jüterbog: Nach einem Jahr noch ohne Täter
Vor einem Jahr detonierte in Jüterbog ein Sprengsatz in einem Gemeindezentrum, das auch Flüchtlinge nutzen. Die Täter sind noch immer nicht gefasst.
Nach einer NPD-Demonstration war am 20. November vergangenen Jahres ein Sprengsatz durch ein Fenster in den Raum geworfen worden. In dem Gemeindezentrum trafen sich auch Flüchtlinge mit ihren Helfern.
Aus Sicht von Pfarrerin Ramona Rohnstock hat der Anschlag für viele Jugendliche in ihrer Gemeinde mobilisierend gewirkt. „Einige, die sich vorher nicht für das Thema Flüchtlinge interessierten, haben sich dann engagiert“, sagt Rohnstock. „Wir haben dann auch ein Theaterstück zum Thema Flucht auf die Bühne gebracht.“
Doch die Hintergründe des Anschlags sind weiter ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt seit einem Jahr in rechtsgerichteten Kreisen. Kurz nach dem Anschlag meldeten die Ermittler eine konkrete Spur, die aber wenig später im Sande verlief. „Derzeit laufen noch Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Christoph Lange. Nähere Einzelheiten nennt er aus ermittlungstaktischen Gründen nicht.
Die kleine aktive rechtsextreme Szene
Aus Sicht der Rechtsextremismus-Experten des Brandenburger demos-Instituts kam der Anschlag auf den Flüchtlingstreff nach dem NPD-Aufmarsch nicht völlig überraschend. „Das war mit rund 300 Teilnehmern schon eine große Demo und die Stimmung war äußerst aggressiv“, berichtet Beraterin Andrea Nienhuisen. Angemeldet wurde die Demonstration von dem NPD-Politiker Maik Schneider aus dem Havelland, der drei Monate zuvor gemeinsam mit Gesinnungsgenossen eine geplante Asylunterkunft in Nauen in Brand gesetzt haben soll. Dafür muss er sich vom kommenden Donnerstag an vor dem Landgericht Potsdam verantworten.
„Es sind noch keine Täter für den Anschlag in Jüterbog ermittelt“, stellt Nienhuisen klar. „Aber es ist doch naheliegend, dass es eine Verbindung zu Schneider gibt.“ Unter den Teilnehmern seien etwa zwei Dutzend aus Jüterbog und Umgebung gewesen. „Es gibt eine kleine, aber recht aktive rechtsextreme Szene in und um Jüterbog, die gut vernetzt ist.“ Nienhuisen erinnert daran, dass es Anfang Oktober wieder einen Brandanschlag auf ein Heim für junge Flüchtlinge in Jüterbog gab, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde. „Für Angst und Unsicherheit bei den Bewohnern und Betreuern sorgt das aber schon.“
Der CDU-Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum, der seinen Wahlkreis im Landkreis Teltow-Fläming hat, sieht ein Erstarken der Zivilgesellschaft in Jüterbog. „Es war richtig, dass Bürger, Kirche und Politik unmittelbar nach dem Anschlag ein Zeichen gegen Gewalt und Extremismus gesetzt haben“, sagt der Justiz-Experte. „Ich hätte mir aber auch einen schnellen Ermittlungserfolg der Polizei und der Justiz gewünscht, um Legenden-Bildungen und Verharmlosungen im Keim zu ersticken.“
Der Bürgermeister warnt vor Flüchtlingen
Solche Verharmlosungen machten in Jüterbog durchaus die Runde. Es seien Gerüchte umgegangen, wonach in dem Treff eine Heizung explodiert sei und die Kirchengemeinde den Vorfall für eine kostengünstige Sanierung genutzt habe, erzählt der SPD-Landtagsabgeordnete Erik Stohn. Er verweist auch auf den parteilosen Bürgermeister Arne Raue. Der sorgte im vergangenen Jahr gleich mehrfach für negative Schlagzeilen – etwa, als er wegen angeblicher Ansteckungsgefahr vor Kontakten mit Flüchtlingen warnte. „Der Bürgermeister muss ein Vorbild sein und dem wird er nicht gerecht“, urteilt Stohn.
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Raue wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Der Fraktionschef der Wählergemeinschaft „Für Jüterbog“, Hendrik Papenroth, teilt aber die Meinung seines Bürgermeisters, dass hinter dem Anschlag auf die „Turmstube“ nicht unbedingt rechtsextreme Täter stehen müssten. „Solche Anschläge sind zu verurteilen, aber dass dies Rechtsextreme waren, ist für mich nicht erwiesen“, sagt er. Stohn hält solche Äußerungen für fatal: „Es sind noch keine Täter ermittelt. Aber wenn die offenkundigen Zusammenhänge mit einer NPD-Demo am selben Tag offiziell geleugnet werden, hat das Auswirkungen auf die Stimmung in der Stadt.“
Diese Stimmung bekommt die 16-Jährige Charlotte hautnah mit. Sie engagiert sich für die Flüchtlinge und war mit einigen auch schon im Supermarkt einkaufen. „Die Blicke, die man da spürt sind alles andere als freundlich“, schildert sie. Dies mache vielen Flüchtlingen Angst und sie trauten sich kaum noch auf die Straße. Ihr selbst geht es inzwischen fast genauso. Vor kurzem sei sie auf offener Straße von sechs schwarz gekleideten Gestalten mit Kampfhund bedroht worden erzählt die Jugendliche. „Seitdem gehe ich im Dunkeln nicht mehr alleine 'raus.“
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