Anreize durch neues System geplant: Kassen sollen um Schwerkranke buhlen

Schwerkranke sollen fortan nicht mehr Verlierer des Gesundheitssystems sein. Ein neuer Mechanismus soll die gesetzlichen Kassen anhalten, sie schnell zu heilen.

Die Krankenkassen sollen Anreize erhalten, schnell zu heilen. Bild: dpa

Das Ziel ist ehrgeizig. Die Bundesregierung will, dass ab 2009 Krankheitskosten unter den Kassen möglichst gleich verteilt sind. Deshalb hat sie 80 Krankheiten ausgewählt, für die AOK, BKK & Co Zuschläge aus dem neuen Gesundheitsfonds erhalten. Dazu zählen Diabetes mellitus, Parkinson, HIV/Aids, Demenz und Schlaganfall. Diese zählt das Bundesversicherungsamt zu den "kostenintensiven chronischen Krankheiten und Krankheiten mit schwerwiegendem Verlauf". Wie viel Geld eine Kasse erhält, ist frühestens Anfang November klar. Dann steht der zentrale Beitragssatz für die gesetzlichen Kassen fest.

BERLIN taz Wer an schweren Krankheiten leidet, soll ab 2009 bessere Heilungschancen als bislang haben. Dazu gehören Menschen mit bestimmten Krebs- oder Atemwegserkrankungen, einer HIV- oder anderen schweren Infektionen. Das zumindest verspricht die Vizepräsidentin des Bundesversicherungsamts, Sylvia Bohlen-Schöning, gegenüber der taz.

Die Begründung: Ab Januar kommenden Jahres haben die gesetzlichen Krankenkassen mehr Anreize, ihre Versicherten nicht nur ordnungsgemäß zu versorgen, sondern möglichst schnell zu heilen. Das liegt an einem sperrigen Verteilungsmechanismus mit einem ebenso sperrigen Namen: dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, kurz Morbi-RSA.

Ab 2009 soll dieser dafür sorgen, dass gesetzliche Kassen wie die AOK keinen Nachteil mehr dadurch haben, viele Kranke unter ihren Mitgliedern zu haben. Im Gegenteil: Geht es nach dem Bundesversicherungsamt, das dem Bundesgesundheitsministerium untersteht, soll es für Kassen sogar verlockend sein, bestimmte Kranke in ihren Reihen zu haben.

Und das geht so: Nach langem Streit einigte sich die große Koalition darauf, eine Liste von 80 Krankheiten aufzustellen (siehe Kasten). Für jeden Versicherten mit einer dieser Krankheiten erhalten die gesetzlichen Krankenkassen künftig eine bestimmte Geldsumme. Zusammen mit der sogenannten Grundsumme soll sie alle Behandlungskosten des Patienten im folgenden Jahr abdecken. Dies soll bewirken, dass Kassen mit vielen Kranken nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben und Zusatzbeiträge von ihren Versicherten einfordern müssen. Denn das würde Kassen wie Kranke bestrafen und den Wettbewerb um junge und gesunde Mitglieder verschärfen.

Einen Risikostrukturausgleich gibt es zwar bereits seit den 90er-Jahren. Der berücksichtigt jedoch bislang vor allem Krankheitsrisiken durch Alter und Geschlecht. Zum Beispiel sind Frauen um die 30 für die Kassen im Schnitt recht teuer, weil viele von ihnen Kinder kriegen.

"Dass es 80 Krankheitsbilder sind, ist eine politische Entscheidung", gestand Bohlen-Schöning auf einem Branchenkongress in Berlin am Mittwoch ein. Die SPD hatte ursprünglich bis zu 200 Krankheiten berücksichtigen wollen, konnte gegenüber der Union aber nur einen Kompromiss durchsetzen.

Trotzdem zeigt sich Bohlen-Schöning gegenüber der taz optimistisch: "Krankenkassen werden sich darum bemühen, Kranke besonders gut und kostengünstig zu behandeln, damit die Versorgung ihres Versicherten weniger kostet als die des durchschnittlichen Patienten mit dieser Krankheit." Davon sollen beide Seiten profitieren, hofft Bohlen-Schöning: "Der Kranke wird optimal betreut, die Krankenkasse kann gut mit ihren Einnahmen wirtschaften." Wie Kassen Ärzte dazu bringen wollen, ihre Patienten schneller als bislang zu heilen, ließ Bohlen-Schöning freilich offen.

Auch die Vizevorsitzende der Barmer-Ersatzkasse, Birgit Fischer, setzt auf den komplizierten Verteilungsmechanismus. Der bisherige Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Kassen gleiche nur 40 Prozent der anfallenden Kosten aus. Der erweiterte Ausgleich könne da Abhilfe schaffen.

Doch es gibt auch Kritik. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) zweifelt am reibungslosen Reformbeginn. Vor wenigen Jahren sei in den USA ein ähnliches Verteilungsverfahren großflächig getestet worden - und gescheitert. Hierzulande fehle eine Erprobungsphase ganz. "Aber die Verantwortlichen glaubten, für Deutschland werde es schon klappen", bemängelt Neubauer.

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