Annette Schavans Deutschland-Stipendien: Die Wirtschaft zahlt nicht genug
Annette Schavan will mit Leistungsstipendiem "eine neue Spendenkultur" entwickeln. Doch der Testballon in NRW funktioniert nicht – weil die Wirtschaft so zögerlich ist.
Die politischen Hindernisse hat das sogenannte Deutschlandstipendium hinter sich. Am vergangenen Freitag stimmte der Bundesrat zu, dass es neben dem Bafög nun einen gemeinsamen Zuschuss von Bund und Wirtschaft für besonders leistungsfähige Studierende geben wird. Die praktischen Probleme mit dem Programm werden jetzt allerdings die Hochschulen haben. Das zeigt ein Blick nach Nordrhein-Westfalen, wo ein ähnliches Stipendienprogramm seit einem Jahr läuft.
Was macht - neben überdurchschnittlicher Leistung im Studium - die StudentInnen aus, die ein Stipendium bekommen? Und woher genau aus der Wirtschaft sollen 150 Euro pro Student und Monat kommen, auf die der Bund jeweils noch mal 150 Euro drauflegen will?
Die Studenten
Ein Stipendiat des Deutschlandstipendiums bekommt 300 Euro im Monat unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Hälfte des Geldes bezahlt der Bund, für die andere Hälfte müssen die Unis Spender finden. Bis zum Jahr 2015 sollen insgesamt 8 Prozent der Studierenden gefördert werden, das wären 160.000 Studenten.
----
Das Büchergeld, das die Begabtenförderwerke an ihre Stipendiaten unabhängig vom deren Einkommen auszahlen, soll schrittweise erhöht werden. Von 80 Euro auf 150 Euro zum kommenden Sommersemester bis auf 300 Euro bis zum Ende der Legislaturperiode. (jh)
----
Frisches Studiergeld: In Deutschland wird es ab 2011 ein neues "nationales Stipendienprogramm" geben. Nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat dem neuen Gesetz zu, das eine Förderung begabter Studenten von 300 Euro monatlich vorsieht. Das Geld soll je zur Hälfte von staatlicher Seite sowie von privaten Dritten aufgebracht werden. Jede Hochschule in Deutschland soll 8 Prozent ihrer Studenten fördern können. Unter Hinweis auf die angespannte Haushaltssituation in den Ländern hatte der Bundesrat seine Zustimmung zu dem Gesetz erst angekündigt, nachdem die Bundesregierung zugesichert hatte, den öffentlichen Kostenanteil allein zu tragen. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung wird "in der Endausbaustufe eine Förderung von 8 Prozent der Studierenden angestrebt", was jährliche Kosten in Höhe von bis zu 300 Millionen Euro verursachen werde. (afp, dpa)
Fest steht: Menschen wie Marisa Merz werden als Stipendiaten dabei sein. Die 25-Jähige hat einen Notenschnitt von etwa 1,1, fast jede Klausur hat sie mit 1,0 bestanden, und sie studiert Betriebswirtschaftslehre. Seit einem Jahr bekommt sie dafür 300 Euro im Monat, 150 Euro vom Land, 150 Euro vom Chemiekonzern Lanxess. Der fördert außer ihr an der Uni Köln noch zwei Chemiestudenten.
Marisa ist eine der ersten Empfängerinnen des Stipendiums, das mit dem Deutschlandstipendium fast baugleich ist und das der Exwissenschaftsminister des Landes, Andreas Pinkwart (FDP), vor einem Jahr gestartet hatte. Die 300 Euro, die sie pro Monat mit ihrem Stipendium bekommt, brauche sie nicht unbedingt, sagt sie. Sie kaufe sich jetzt "vielleicht mal ein Buch mehr". Beim NRW-Stipendium kommt es auf die Leistung an und nicht auf Bedürftigkeit.
"Jeder sollte sich ein Studium leisten können", sagt Marisa. Sie wollte erst gar nicht studieren und hat nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Sparkasse gemacht. Doch das reichte ihr nicht und da hat sie ihren alten Mazda verkauft und sich für Betriebswirtschaft eingeschrieben. Als sie sich für das Stipendium beworben hat, ging es ihr darum, unabhängig zu werden und ihre Eltern finanziell zu entlasten. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Eltern das Geld, das sie fürs Studium braucht, entbehren müssen. Marisa ist die Erste aus der Familie, die studiert. Ihr älterer Bruder hat gerade die kleine Schreinerei übernommen, in der sie aufgewachsen ist. Leistung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz Bafög, bekommt sie nicht.
Wie das NRW-Stipendium soll das Deutschlandstipendium diejenigen fördern, die "hervorragende Leistungen erwarten lassen". So steht es im Gesetz. Wer Stipendiat wird, entscheiden Kommissionen aus Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten. Inwiefern sie über Studienleistung hinaus berücksichtigen, dass jemand aus einer Arbeiterfamilie kommt, liegt allein an dieser Kommission. Das Gesetz zum Deutschlandstipendium erlaubt, dass die Unis auch nach sozialen, persönlichen und familiären Umständen auswählen. Doch die Frage ist nicht nur, ob das Gesetz es erlaubt, sondern auch, ob die Zeit es erlaubt. Denn Bewerbungen so sorgfältig zu prüfen, ist extrem zeitintensiv.
In Köln gab es zum Beispiel etwa 600 Bewerbungen auf knapp 100 Stipendien, und die Professoren klagen ohnehin über die zunehmende Arbeit jenseits von Forschung und Lehre, wie etwa Referenzschreiben. Zusätzliche Mittel für die Kosten der Auswahlverfahren gibt es nicht und wird es auch mit dem Deutschlandstipendium nicht geben.
Die Hochschulen
Doch die Fragen, was die Stipendiaten ausmachen soll und wer die Auswahl bewältigen soll, sind erst das zweite Problem. Erste Voraussetzung für das Stipendium ist, dass Firmen, Stiftungen und Privatpersonen genug Geld für die Stipendien spenden. Auch darum müssen sich die Unis kümmern. Yvonne Ayoub leitet die Stabsstelle Fundraising der Universität Köln. Knapp einhundert neue Stipendiaten nahm die Uni Köln im vergangenen Jahr auf, Marisa Merz war eine davon. Zum Wintersemester kommen etwas weniger als halb so viele neu dazu. Nicht nur in Köln fließen die Spenden zu langsam nach.
In ganz NRW werden dieses Jahr weniger neue Stipendiaten aufgenommen als im vergangenen Jahr. 1.400 waren es letztes Jahr, 1.200 werden es in diesem Jahr sein. Eigentlich sollte das Stipendienprogramm wachsen. Stattdessen ist der zweite Jahrgang der Stipendiaten kleiner als der erste Jahrgang. Zehn Prozent der Studenten zu fördern war das Ziel des Stipendiums. Heute steht es bei etwas mehr als 0,5 Prozent in seinem zweiten Jahr. Mehr Geld konnten Frau Ayoub und ihre Kollegen an den anderen Hochschulen nicht anwerben.
Das Interesse der Wirtschaft am kleinen Bruder des Deutschland-Stipendiums ist generell nicht so hoch wie erhofft. Die meisten Stipendien, 60 Prozent, spendeten im vergangenen Jahr Stiftungen, Vereine und Privatpersonen. Das ist das Glück für Johanna Krull, ihr Stipendium bezahlt der Alumni Verein der Uni Köln. Sie hat zwar eine 1,4 in ihrer Zwischenprüfung, schreibt acht Klausuren in einer Woche, leitet eine Messdienergruppe, betreut ein Ferienlager und lernt nebenbei Türkisch. Doch im Gegensatz zu Marisa studiert sie etwas, das für die Förderer aus der Wirtschaft nicht attraktiv ist. Johanna will Lehrerin an einer Sonderschule werden und zählt damit zu den 15 Prozent der Sprach-, Geistes- und Kunstwissenschaftler im Stipendium.
Die Wirtschaft
Das Kombi-Stipendium von Wirtschaft und Politik sollte die Firmen locken, Kontakt zu den besten Studenten aus Fachbereichen ihrer Wahl zu bekommen. Tatsächlich sind die meisten Spenden an bestimmte Fachrichtungen gebunden. Das bedeutet aber nicht, dass die Firmen ihre Stipendiaten vereinnahmen. Marisa Merz zum Beispiel hat einen Vorstand von Lanxess bei einem Empfang der Uni getroffen. Er sagte, sie könnte ein Praktikum machen. Sie muss es aber nicht, Marisa findet das gut, "so können sich beide Seiten aussuchen, wie der Kontakt sein sollte", sagt sie.
Kleine und mittelständige Unternehmen zögern noch. Größere Firmen spenden zwar, allerdings selten mehr als drei Stipendien. Anfangs habe sie damit gerechnet, dass sie vielleicht auch mal zehn Studenten auf einmal fördern könnten, sagt Ayoub. Doch die Firmen scheinen erst mal beobachten zu wollen, wie sich das Programm entwickelt. Außerdem sind die Zusagen oft auf ein Jahr beschränkt.
Diese Probleme des Stipendiums in Nordrhein-Westfalen wird auch das Deutschlandstipendium haben, oder eher: die Fundraiser an den Universitäten. Bis 2015 will Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) 8 Prozent der Studenten fördern. Im April will sie die ersten Stipendien auszahlen, bis Ende 2011 sollen es zehntausend Stipendiaten sein. Das wären wie in NRW 0,5 Prozent, aber innerhalb eines Jahres. Und das wäre nur das erste Ziel. Um das zweite Ziel von 8 Prozent bis 2015 zu erreichen, müsste sich die Zahl der Stipendiaten jedes Jahr und vier Jahre in Folge jeweils verdoppeln, von zehntausend auf hundertsechzigtausend. Schavan nimmt an, dass das Spendenvolumen exponentiell wächst.
Eine Kultur des Spendens werde sich entwickeln, verkündete Schavan während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Herbst. In Nordrhein-Westfalen gibt es diese Spenderkultur aber nicht. Die Universitäten müssen, um an Geld zu kommen, Veranstaltungen organisieren. Vom Land gibt es für diesen Aufwand bisher nichts. Mit dem Deutschlandstipendium wird eine Hochschule 126 Euro im Jahr vom Bund für jedes gespendete Stipendium bekommen. Schavan will die Hochschulen außerdem mit Schulungen und einem Computerprogramm unterstützen. Wenn sich die Erfahrungen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland auf Deutschland übertragen lassen, dann werden sich die großen Hoffnungen, die Schavan mit dem neuen Stipendium verkauft, nicht erfüllen - jedenfalls nicht so schnell.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid