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Wie KI unser Denken verändertVerletzter Stolz

Künstliche Intelligenz verändert unser Denken. Eine Herausforderung ist, dass sie uns das Gefühl nimmt, Dinge eigenständig erarbeitet zu haben.

KI, dein Freund und Helfer? Sich im kreativen Prozess weniger allein zu fühlen, kann motivierend sein Foto: Huber Starke/imago

L etzte Woche stolperte ich über den ­Thread einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, der mir ein Augenrollen entlockte (Sorry!). Sie entwarf ChatGPT als Feindbild der Universitätswelt – besonders, was die Nutzung der Studierenden betrifft. Ihre Argumente? Die Ergebnisse seien erfunden! Für wissenschaftliches Arbeiten sind sie demnach ungeeignet. Außerdem sei die Ästhetik der KI „aktiv faschistisch“ – aus moralischen Gründen also abzulehnen –, und natürlich die – nicht von der Hand zu weisenden – Umweltschäden infolge des hohen Energieaufwands für Prompts.

Im Kommentarbereich kollektives Kopfnicken der Kollegenschaft. Es folgte ein Best-of deutscher Technikskepsis, das ich noch aus meiner Studienzeit (damals wegen Wikipedia und YouTube) kenne: Studierende verlernen zu denken, werden keine Bücher mehr lesen und – Gott bewahre – niemals in ihrem Leben originell sein können!

Scheinbar haben viele Uni-Mitarbeitende ChatGPT noch nicht ausprobiert. Ihre Sorgen sähen dann anders aus. Studierende verlernen nicht das Denken – aber ihr Denken, unser aller Denken, verändert sich. Es wird dialogischer!

Die meisten, die ChatGPT nutzen, geben nicht einfach einen Prompt ein und erwarten ein Endergebnis – auch Studierende nicht (meiner Erfahrung nach). Viele sind sich bewusst, dass keine wissenschaftlichen Wunderwerke getan werden, und den Ergebnissen zu misstrauen ist.

Ideen entstehen im Austausch

Warum nutzen sie die KI dann? Aus Effizienzgründen, gewiss. Aber auch, weil man in einen Dialog tritt. Weil im Austausch Ideen entstehen, die zum Weiterdenken anregen und Assoziationen stimulieren – anders als das zu früheren Zeiten bei einer intensiven Lektüre möglich war. Denn die Lektüre reagiert ja nicht auf einen. Und wer Assoziationen hat, der erlebt sich – wie man in Lambert Wiesings neuem Buch lernen kann – als einzigartig.

Ich bezweifle daher, dass kreative Köpfe ihre Originalität verlieren werden. Vielleicht sogar im Gegenteil. Außerdem: Sich im kreativen Prozess weniger allein zu fühlen, kann motivierend sein!

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will ChatGPT nicht verteidigen. Mir wäre es auch lieber, wenn ich eine KI nutzen könnte, die nicht von einem profitorientierten Großkonzern entwickelt wurde, sondern auf gemeinwohlorientierten Prinzipien beruht – transparent, datensparsam, mit Rechenschaftspflicht.

Aber seien wir doch ehrlich zu uns selbst: KI ist gekommen, um zu bleiben. Wir müssen also ernst nehmen und verstehen, wie diese Programme tatsächlich verwendet werden. Dann offenbaren sich konkrete Herausforderungen: Dialogisches Arbeiten kann Gedanken zerstreuen und für Orientierungslosigkeit sorgen – das ist am Anfang einer wissenschaftlichen Arbeit verhängnisvoll. Hinzu kommt: Wer unsicher ist, nutzt die KI zur Absicherung – was dazu führen kann, dass man sich zu stark auf das Urteil der „externen Stimme“ verlässt und weniger intuitiv oder mutig schreibt.

Verlust des Gefühls für Selbstwirksamkeit

Das Gefühl, etwas völlig eigenständig und ohne Hilfe erarbeitet zu haben, macht stolz. Darin sehe ich die größte Gefahr: Wenn man keinen Stolz mehr empfindet, verliert man das Gefühl für Selbstwirksamkeit. Man erkennt vielleicht noch, was gut oder richtig ist, aber es fehlt das innere Echo, das einem sagt: Das war von Wert, das war von dir. Stolz ist nicht bloß Eitelkeit – er ist ein Signal: Ich habe etwas geschafft, ich bin jemand, ich bin verbunden mit etwas, das Bedeutung hat.

Ich mache mir also auch Sorgen wegen ChatGPT. Allerdings weniger, weil ich es für unzuverlässig oder biased halte. Sondern, weil es uns bereits jetzt vor grundlegende Fragen stellt. Etwa: Worauf können wir heute stolz zu sein? Verletzter Stolz ist ein machtvolles Gefühl. Destruktiv, aber auch klärend – wenn man sich damit auseinandersetzt. Und gewiss entstehen für manche sogar neue Quellen für Stolz – Originalität zum Beispiel.

Die empörten Kommentare der Uni-Mitarbeitenden? Vielleicht nutzen sie ChatGPT längst heimlich und spüren die Verletzung ihres Stolzes bereits – wollen es aber nicht wahrhaben.

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5 Kommentare

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  • Das verdorbene Kind eines liberalen Menschenbild, dessen Würde und Stolz auf dem Gefühl beruht, es sei selber Meister seines Schicksals, HeldIn der gesteigerten Selbstwirksamkeitserfahrung und immer bereit, der Konkurrenz kampfbereit ins Auge zu sehen. Das ist, mit Verlaub, großer Quatsch. Selbst eine Kartoffel will sprießen und wachsen; sie wird irgendwann gefressen und/oder verderben. Das ist nämlich das Gesetz des Lebens: Die fortlaufende Transformation von Biomasse. Dafür braucht es keinen Stolz, sondern Demut. Mit Blick auf den Zustand der Welt, sollte uns die Vernunft eigentlich dazu bringen, Welt und Umwelt zu bewahren, statt auszubeuten und statt auf individuelle Selbstverwirklichung auf unteilbare Verantwortung zu setzen. So wie der Hase aber läuft, wird auch die KI als Instrument der Selbstbehauptung im Wettbewerb genutzt werden.

  • KI liefert einen Querschnitt des bekannten Wissens und Unwissens im Internet. Eine schöpferische wissenschaftliche Leistung ist daher von der KI nicht zu erwarten.

  • Danke für den sehr bedenkenswerten Text. Letztlich wird es mit der KI gehen wie mit allen anderen Erfindungen des Menschen: Sie werden ihre segensreichen Wirkungen entfalten und gleichzeitig ihre vernichtenden. Und ebenfalls wie immer werden beide Seiten nur sehr bedingt zu regulieren sein.



    "Das war von Wert, das war von dir. Stolz ist nicht bloß Eitelkeit – er ist ein Signal: Ich habe etwas geschafft." Um dem "Homo faber" den Stolz auf die eigene Leistung abzugewöhnen, brauchen wir keine KI. Weil "Werthaltigkeit" auch immer eine Frage des jeweiligen Bezugssystems ist.

  • Was mir auffällt: Diese Systeme sind in der Praxis sehr oft vernünftiger und "halluzinieren" weniger als die allermeisten Menschen es fast immer tun.

    Man vergleicht sehr leicht KI-Systeme mit einem rein theoretischen Idealfall eines sehr gut vorbereiteten, intellektuell redlichen und sehr gut gebildeten Menschen. Aber wie oft trifft man die in der wirklichen Welt an?

    Und genau das ist das Problem: Wenn man sich mit solchen Systeme ernsthaft beschäftigt, fragt man sich irgendwann nicht gar mehr so sehr, ob KI intelligent ist, sondern ob Menschen eigentlich intelligent sind.

    Denn fast immer sind die allermeisten Menschen bei fast allen Gelegenheiten eigentlich kaum mehr als sprechende Tiere. Wirkliche Intelligenz ist eine Ausnahme, das ist eher ein selten realisiertes Potential als die Regel.

    • @Mustardman:

      Es ist schon erstaunlich wie tief die Propaganda für die künstliche Dummheit schon vorgedrungen ist. Im Gegensatz zu Menschen ist der Ansatz ein brute force Angriff auf der Statistik Ebene. Ein zweijähriges Kind hat eine oder mehrere Sprachen und das dazugehörige soziale Verhalten weitgehend erfasst, mit minimalen Energiekonsum. Eine KI begreift nichts und spiegelt eine Vernunft nur vor. Deshalb entstehen dann so Geschichten wie "Goldrausch in Frankreich" . Die Behauptung das KI-Systeme vernünftig sind, ist, mangels Vernunft des Systems , unhaltbar.