: Anklage gegen den „Mann ohne Gesicht“
■ Der Prozeß gegen Markus Wolf soll Anfang Mai in Düsseldorf stattfinden Angeklagt werden die spektakulärsten Spionageaffären der BRD-Geschichte
Ab dem 4. Mai wird in Düsseldorf dem einstigen Herrn über Tausende von DDR-Agenten, Markus Wolf, vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichtes der Prozeß gemacht. Dann wird vor allem von den spektakulären Spionagefällen der „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) die Rede sein, etwa von
–dem Kanzleramtsspion Günter Guillaume, dessen Enttarnung 1974 den Rücktritt des Bundeskanzlers Willy Brandt provozierte
–dem CDU-Abgeordneten Julius Steiner, der zwei Jahre zuvor für 50.000 DM Agentenlohn auftragsgemäß für die Stasi beim konstruktiven Mißtrauensvotum im Bundestag für den Kanzler Brandt stimmte und damit einen sicher scheinenden Sieg des Herausforderers Rainer Barzel verhinderte
–der BND-Mitarbeiterin Gabriele Gast, die über Jahre dafür Sorge trug, daß dem Stasi-Chef Erich Mielke die für Kanzler Kohl gedachten gesammelten Erkenntnisse des Geheimdienstes noch vor diesem zur Kenntnis gelangten
–dem Fall des Kölner Regierungsrates Klaus Kuron, der bis in die Wendezeit hinein aus chronischer Geldnot die gesamte Spionageabwehr des Kölner Verfassungsschutzes an die Stasi verpfiff und
–nicht zuletzt werden vor Gericht auch jene „aktiven Maßnahmen“ der Desinformationsabteilung X der HVA erörtert werden, die nicht nur in Parteien und Institutionen Zwietracht sähen, sondern auch die westdeutschen Geheimdienste „zersetzen“ sollten.
Neben der deutsch-deutschen Spionagegeschichte wird im Verfahren gegen den 70jährigen Wolf auch ein weiteres Puzzle des (west-)deutschen Herbstes erhellt: Die sogenannten Schleyer-Verhöre, die die RAF mit dem Arbeitgeberpräsidenten im September 1977 kurz vor dessen Ermordung geführt haben soll.
Ungeklärte Rechtslage
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, daß sie Markus Wolf wegen „fortgesetzten Landesverrates“ zur Rechenschaft ziehen kann. Im Westen galt Wolf über Jahre als der „Mann ohne Gesicht“. Die Geheimdienste kannten ihn nur von einem Foto aus dem Jahr 1959. Erst 1978 konnte er in Stockholm bei einer Einkaufstour fotografiert werden. Trotzdem glaubt die Bundesanwaltschaft, Wolf nachweisen zu können, daß er „maßgebend daran mitgewirkt hat, daß Staatsgeheimnisse der Bundesrepublik Deutschland der DDR-Führung offenbart wurden“.
Alexander von Stahl wirft Wolf (Spitzname Mischa) vor, aktiv in die Führung der Agenten eingebunden gewesen zu sein. Etwa dadurch, daß er sich mit dem Kanzleramtsspion Guillaume, der BND-Mitarbeiterin Gast oder dem Verfassungsschützer Klaus Kuron persönlich getroffen und sie instruiert hat.
In ihrer rechtlichen Würdigung stützt sich die Karlsruher Anklagebehörde dabei auf mehrere Beschlüsse des 3. Strafsenates beim Bundesgerichtshof aus dem Frühjahr 1991.
Der BGH hatte im Kern argumentiert, daß die Nachrichtendienste der Bundesrepublik defensiv, die Staatssicherheit dagegen offensiv gearbeitet und damit die äußere Sicherheit der BRD gefährdet hätte.
Die Rechtsauffassung des BGH ist aber umstritten. Im Verfahren gegen den Nachfolger von Markus Wolf, Werner Großmann, und vier seiner engsten Vertrauten, bezeichnete das Berliner Kammergericht die Verfolgung der DDR-Geheimdienstmitarbeiter als verfassungswidrig.
Die Strafverfolgung der Ex- DDR-Spione bei gleichzeitiger Straflosigkeit bundesdeutscher Agenten, die gegen die DDR spioniert hätten, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, urteilten die Berliner Richter am 30. Juli 1991. Das Kammergericht rief das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an, um die Frage der Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung klären zu lassen. So lange wollte die Bundesanwaltschaft aber nicht warten.
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