piwik no script img

Anke Richter Neues aus Neuseeland: Jacindas Schweigen

Das Rätseln um die Heilige Jacinda hat ein Ende. Unsere Ex-Premierministerin hat ihre Memoiren mit großem Medientamtam veröffentlicht. Das ging von Washington Post bis Spiegel oder Sydney Morning Herald um die Welt. Endlich ist das Schweigen gebrochen, das sich die ehemalige Landesmutter nach ihrem spektakulären Abgang auferlegt hat. Aber sind wir schlauer?

Nach ihrem Rückzug aus der Politik im Januar 2023 blieb offen, was der echte Grund dafür war: Misogynie, Machtverlust oder Burn-out. Denn keine andere neuseeländische Führungsfigur – sie war Nummer 40 – wurde mit so viel Spott und Häme, Hass und Hitler-Vergleichen bedacht wie Jacinda Ardern. Verschwörungsfanatiker wünschten ihr auf Schildern den Galgentod.

Nicht die Aggro habe sie in die Knie gezwungen, so die Angefeindete damals, sondern ihr Tank sei leer. War es daher Vernunft und Mütterlichkeit, ihre Familie dem Staatsamt vorzuziehen – oder stand sie vor dem Abstieg der Labour-Partei? Wer „A Different Kind of Power“ liest, erfährt keine neuen Interna aus der Machtzentrale. Aber dafür wird schwer gemenschelt.

Arderns Widersacher hatte sie während der Wahlkampagne als „fleischlose Frikadelle“ bezeichnet. Sie zerbrach sich den Kopf über passende Snacks für ihn. Wir erfahren, auf welcher Toilette sie 13 Tage vor ihrem Antritt als 37-jährige Premierministerin einen Schwangerschaftstest machte. Rat holte die werdende Mutter sich von der Queen persönlich.

Das Werk ist denen gewidmet, die „weinen, sich sorgen und umarmen“. Und weinen musste die Autorin, als sie das Audiobuch aufnahm und sich an das Moschee-Attentat in Christchurch 2019 erinnerte – eine von vielen Krisen, die sie gemanagt hat. Jetzt meistert sie ihre Buchtournee, zum Auftakt in Amerika: sechs Städte und Interviews mit Oprah Winfrey, Christiane Amanpour und ihrem Dauerfan Stephen Colbert in „The Late Show“.

Obwohl die 44-Jährige als Anti-Trump bezeichnet wurde, hält sie sich über den US-Präsidenten bedeckt. Hoffen wir, dass sie im Hintergrund wirkt: An der Harvard-Universität leitet Ardern ein Fellowship-Programm für internationale Spitzenpolitiker. Seit Weihnachten war sie daher nicht mehr in der Heimat, und Buchtermine stehen bei uns nicht an. Aber dafür werden wir mit dem intimen Dokumentarfilm „Prime Minister“ entschädigt.

Apropos Spitzen: Im New Yorker erschien die tiefblickende Buchanalyse mit dem Titel: „Warum hat Neuseeland sich gegen Jacinda Ardern entschieden?“ Da fühlten sich viele Kiwis abgeholt, die der Heiligen Jacinda ihre Covidpolitik nicht verziehen hatten. Was denn nun, ist sie im Lande verhasst oder verehrt? In den letzten Umfragen liegt sie als beliebteste Politikerin vorne, und in der Stadtbücherei Christchurch gab es am ersten Tag bereits 400 Leihanfragen für ihr Buch. Doch ein neues Werk über Pilze erzielte spontan mehr Verkäufe. Weitere Rätsel!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen