: Ankara atmet auf
Nach dem Merkel-Desaster herrscht in der Türkei Erleichterung. Premier Erdogan gratuliert Schröder
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
„Merkel mit Wahlurne kollidiert“, „Schock für Merkel“ und „Große Enttäuschung bei den Konservativen“. So lauteten gestern die Schlagzeilen der türkischen Massenblätter nach der mit großer Sorge erwarteten Wahl in Deutschland. Die Erleichterung über das Wahldesaster der „Eisernen Lady“ in Deutschland ist groß, und selbst Ministerpräsident Tayyip Erdogan konnte es sich am Montagmorgen nicht verkneifen, seinem Freund Gerhard Schröder zu dessen erfolgreichen Wahlkampf zu gratulieren.
Für die Türkei hängt schließlich gerade im Moment eine Menge davon ab, wer im Kanzleramt in Berlin sitzt. Am 3. Oktober sollen die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union beginnen, und noch immer wird in Brüssel darüber gestritten, ob die Türkei nun genügend Vorbedingungen erfüllt hat oder nicht.
„Für uns“, sagte der bekannte außenpolitische Kolumnist Sami Kohen der taz, „ist es wichtig, dass Merkel nun auf jeden Fall ihre Show nicht alleine durchziehen kann.“ „In einer großen Koalition ist Merkel neutralisiert.“ Die privilegierte Partnerschaft sei mit dem Patt in Berlin zwar noch nicht völlig vom Tisch, doch wird es für die CDU/CSU jetzt viel schwieriger werden, den Weg der Türkei in die EU zu blockieren.
Das wird sich nach Einschätzung von Kohen und anderen Meinungsmachern in Istanbul schon in diesen Tagen in Brüssel zeigen. Solange wie man in einigen EU-Hauptstädten noch auf einen großen Sieg der CDU/CSU setzte, gab es keine Einigung darüber, wie die EU darauf reagieren soll, dass die Türkei die Zollunion zwar auf Zypern ausgeweitet hat, eine förmliche Anerkennung der griechisch-zypriotischen Regierung aber weiter ausdrücklich ablehnt.
In der Hoffnung, dass eine neue deutsche Regierung ihre Position unterstützen würde, hatte die Regierung von Tassos Papadopoulos bis jetzt darauf bestanden, die Türkei müsse zumindestens einem Zeitplan zustimmen, der eine vollständige Anerkennung festlegt. Das dürfte nun vom Tisch sein. Wenn es vor dem Beginn der EU-Türkei-Verhandlungen am 3. Oktober noch zu einem außerordentlichen Außenministertreffen kommen sollte, wird Joschka Fischer diesen Termin wahrnehmen und hat nun auch keinen Grund mehr, nicht bei der bisherigen Position der Bundesregierung zu bleiben.
Doch trotz der ersten Erleichterung darüber, dass ein Merkel-Durchmarsch in Deutschland nun doch nicht zustande gekommen ist, weiß man in Ankara genau, dass eine längere Phase der Instabilität in Berlin auch nicht gut wäre. „Die Türkei und ganz Europa“, so Kohen, „brauchen eine stabile und handlungsfähige Regierung in Deutschland. Sonst geht es mit Europa nicht weiter.“