Anhaltende Proteste in Syrien: Assad kann sein Volk nicht beruhigen
Der Präsident kündigt die Aufhebung des Notstands und Reformen an, um die "innere Front" zu stärken. Dennoch gehen Tausende in mehreren Städten auf die Straße.
DAMASKUS taz | Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste im Land hat Syriens Präsident Baschar al-Assad am Samstagabend in einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Rede die Aufhebung des Notstandsgesetzes in der kommenden Woche angekündigt. In der Ansprache vor dem Parlament bedauerte er die verletzten und die rund 200 getöteten Demonstranten der vergangenen Wochen und sagte, die "Kluft" zwischen den Bürgern und den staatlichen Institutionen müsse "schnell" geschlossen werden.
Die Regierung werde nun in den Dialog mit Gewerkschaften und anderen Organisationen treten, da die Bürger ein Anrecht auf Sicherheit, staatliche Leistungen und Würde hätten, sagte Assad. Er verdammte die in Syrien allgegenwärtige Korruption als "Bedrohung für die Moral" sowie für das "Entwicklungspotenzial des Landes" und kündigte erneut Reformen an, um die "inneren Front" zu stärken und das Land vor der "ausländischen Verschwörung" zu schützen.
Syrien hatte den libanesischen Parlamentsabgeordneten Jamal Jarrah von Saad Hariris Zukunftspartei in der vergangenen Woche beschuldigt, Waffen und Geld zur Unterstützung der Aufstände ins Nachbarland geschickt zu haben. Am Samstag verstärkte Syrien die militärische Präsenz an Teilen der gemeinsamen Grenze und verschärfte die Kontrollen für Lkws, was zu stundenlangen Staus führte.
Telefonleitungen gekappt
Als Reaktion auf die Rede des Präsidenten gingen Tausende in mehreren Städten Syriens, auch in den Damaszener Vororten Douma und Muaddamiyah, am Samstagabend erneut auf die Straße. Am Sonntag wurden die Telefonleitungen erstmals auch in Teilen der Hauptstadt gekappt. Die Kleinstadt Deraa, in der die Unruhen im März begannen, wurde am Sonntag zu einem Zentrum des Protestes. Aus der gesamten Region kamen immer mehr Demonstranten in Bussen in das Städtchen an der jordanischen Grenze, um für schnelle und umfassende Reformen zu demonstrieren.
Das Staatsfernsehen sendete wiederkehrende Berichte über hunderte regimetreue "Protestierende", die sich vor dem Büro des panarabischen Senders al-Dschasira in Damaskus versammelten. Die Nachrichtenagentur Sana meldete, dass die Teilnehmer des Sit-ins "eine Entschuldigung" des Senders verlangten, da er Nachrichten gesendet habe, die darauf abzielten, "die syrische Nation durch Fehlinformationen zu entzweien".
Haitham al-Maleh, prominenter syrischer Anwalt für Menschenrechte, sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die Aufhebung des Notstandsgesetzes zwar ein Schritt, aber lange nicht genug sei. Er forderte, dass das gesamte "korrupte Rechtssystem" reformiert werden müsse und der Geheimdienst aufhören solle, sich in das tägliche Leben der Bürger einzumischen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!