piwik no script img

Angst vor dem VirusEine Ente macht noch keine Pest

Stallpflicht für Geflügel soll verhindern, dass Wildvögel das H5N8-Virus verbreiten. Dass sie das überhaupt tun, ist aber gar nicht sicher.

Wer weiß schon genau, was die mitbringen? Enten im Landeanflug. Bild: dpa

BREMEN taz | Eine einzige mit dem Virus H5N8 infizierte Krickente hat ganz Norddeutschland Stallpflicht fürs Geflügel beschert. Mecklenburg-Vorpommern hat als erstes Bundesland seine Nutzvögel bislang flächendeckend weggesperrt.

In Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben die Grünen-Landwirtschaftsminister den Landkreisen per Erlass die Entscheidung überlassen, in näher definierten „Risikogebieten“ die Stallpflicht zu verfügen. Sie folgen damit einer Risikobewertung des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI).

Während Minister Robert Habeck in Kiel erklärte, „eine Übertragung des Geflügelpest-Erregers durch Wasservögel“ sei „wahrscheinlich“, folgte sein hannöverscher Kollege Christian Meyer dem Ratschlag des Instituts am Mittwoch etwas widerstrebend: „Uns ist wichtig, dass der Grundsatz ’So wenig Einschränkung wie möglich‘ befolgt wird“, so Meyers Sprecher Klaus Jongeblod. „Es ist nicht gesichert, dass Zugvögel für die Ausbreitung der Krankheit verantwortlich sind.“

Eben auf dieser Annahme aber basiert die Empfehlung des FLI: Drei Wochen nach dem ersten Vogelpestausbruch in einer Putenmastanlage im Kreis Greifswald hatte das Bundesforschungsinstitut eine auf Rügen abgeschossene Krickente positiv getestet. Ob das Tier erkrankt war oder nur vom Erreger besiedelt, ist ungewiss.

Die Grippewelle

Im November sind an drei Orten in Europa Geflügelbestände durch eine Infektion mit H5N8-Viren erkrankt: Neben dem britischen Driffield, wo eine Farm mit 6.000 Enten betroffen war, eine Broilermastanlage in Hekendorp in den Niederlanden mit 43.500 Vögeln sowie der Putenmastbetrieb im vorpommerschen Heinrichswalde mit 31.000 Tieren.

Die Hypothese, dass Zugvögel das Virus in diese Betriebe einbringen könnten, hat mehrere Plausibilitätsmängel: Weder haben Wildtiere Kontakt zu den hermetisch abgeriegelten Stallungen, noch hat sich bislang nachweisen lassen, dass Zugvögel in nennenswertem Maß von H5N8-Viren befallen wären.

Umgekehrt werden Exkremente von industriell gehaltenen Vögeln in großem Maß als Dünger in die Außenwelt eingetragen.

Es sei bislang das einzige Wildtier, in dessen Kadaver das FLI den H5N8-Erreger hat finden können, bestätigte Institutssprecherin Elke Reinking. „Die genaue Einschleppungsursache in Mecklenburg-Vorpommern ist noch nicht geklärt“, sagte Reinking. Die Stallpflicht sei „derzeit die einzige Möglichkeit, einen Eintrag des Virus aus dem Wildvogelbereich zu unterbinden“.

Eigentlich lasse sich „die Stallpflicht nicht nachvollziehen“, kritisierte Eckehard Niemann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Maßnahmen. Zwar könne er „gut verstehen, dass man sich als verantwortlicher Minister nicht gegen den Rat eines Bundesinstituts stellt“, angesichts der Beweislage habe er sich über die offizielle Risikobewertung jedoch „gewundert“, so Niemann.

Noch deutlicher wird Werner Hupperich vom unabhängigen Wissenschaftsforum Aviäre Influenza (WAI): „Wenn wir etwas brauchen, dann doch wohl einen Schutz der Wildtiere vor Austrägen aus industriellen Stallanlagen.“ Nur dort gebe es Krankheitsausbrüche, nur dort sei der Erreger in größerem Maßstab nachgewiesen. Die Stallpflicht bewertet Hupperich als „bloße Gängelei der Freilandhalter“.

Für die wird es tatsächlich schwer, ihre Lieferverträge zu erfüllen. Zwar gibt es Karenzfristen von drei Monaten, während derer die Eier eingestallter Freiland- und Öko-Hühner das Label 0 respektive 1 behalten, das aber reicht nicht allen Großabnehmern. Noch schwieriger wird es etwa für Straußenfarmer – eine Stallhaltung der Laufvögel gilt als unmöglich – oder Gänsehirten.

„Kein Problem mit der Stallpflicht haben dagegen die Betreiber von Großanlagen mit Intensivtierhaltung“, so Hupperich: „Dort wo die Krankheit auftritt, ändert sich nix.“ „Jedenfalls ist es wissenschaftlich völlig unseriös, von einem einzigen positiv getesteten Individuum auf eine Prävalenz des Erregers bei Zugvögeln zu schließen.“ Die gebe es nach naturwissenschaftlichen Kriterien nicht.

Tatsächlich war die Geflügelpest Anfang des Monats in einer Putenmastanlage in Vorpommern ausgebrochen – vermutlich lange, bevor die Krickente Deutschland erreichte. In dem Stall zu Heinrichswalde starben 900 Tiere schon bald nach Auftreten erster Symptome – „zum größten Teil schon, bevor unsere Leute da angerückt waren“, so Reinking. Die entnommen Proben waren ausnahmslos H5N8-positiv, 31.000 Truthähne wurden vernichtet.

Wie das Virus, das genetisch nahezu identisch mit dem ist, das die aktuelle Geflügelpest-Epidemie in Südkorea ausgelöst hat, in diese abgeriegelte Anlage eindringen konnte? „Keinen direkten Kontakt“ habe es mit Wildtieren gegeben, sagt die FLI-Sprecherin. Indirekt wäre er etwa über Futter, Einstreu oder Wasser möglich. Auch untersuche man Transport- und Personenbewegungen. So werde genau auf die Herkunft des Futters und der Putenküken geschaut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Wir haben seitens der Virologin Prof. Kristieen van Reeth (Universität Gent) die Aussage vorliegen, dass sie eine Ausbreitung über die Luft für wahrscheinlich erachtet - allerdings im Kontext der Schweine-Influenza. In wie weit sich ihre Aussagen auf die aviäre Influenza übertragen lassen, wird derzeit noch von uns geprüft. Auf Grund der Instabilität des Virengenom gegenüber UV-Sstrahlung erscheint eine Übertragung durch die Luft nur über (relativ) kurze Distanzen möglich. Dennoch verdient auch diese Möglichkeit eine eingehende epidemiologische Betrachtung.

     

    Mit freundlichen Grüßen,

    Werner Hupperich

    (WAI - Wissenschaftsforum Aviäre Influenza)

    • @Werner Hupperich:

      Vielen Dank für diese Information!

       

      Es sagt einem ja schon der gesunde Menschenverstand, dass Stallpflicht Blödsinn ist, wenn die Tiere in mehreren Betrieben der Geflügelindustrie in Ställen erkranken - und Freilandtiere gesund bleiben. Egal, ob Wildvögel gefährlich sind oder nciht - STälle schützen offensichtlich nicht!

       

      Zudem steht die Wildvogelthese auf ganz wackeligen Beinen, weil nur 1 Vogel gefunden wurde, den zudem ein Jäger lieferte. Jäger legen oft Geflügel als Lockmittel für Raubwild aus. So kann die Kontamination geschehen sein, zumal der Befund bei der Ente sehr wenig aussagekräftig war. Eine andere Möglichkeit wäre eine Infektion bei der Futtersuche der Ente im mit Geflügelkot gedüngten Feld. Schließlich geschah die Infektion in Heinrichtswalde vorher - und Kot-Transporte sind oft lang.

       

      In jedem Fall ist die Geflügelindustrie ins Visier zu nehmen, denn dort geschahen die Krankheitsausbrüche.

       

      Aber das will man wohl vermeiden?

      Warum lassen wir uns diese erneute interessengeleitete Mogelei gefallen?

       

      Das FLI entwickelt übrigens Impfstoffe zum potentiellen Einsatz in der Geflügelindustrie.

  • wem nützt diese Stallpflicht,

    den Großanlagen mit Intensivtierhaltung, genau, und nicht zu vergessen der Pharmalobby, kann sie wieder neue Chemie in die Großställe bringen und verhökern...,

    und wenn TTIP erst da ist, kommen auch die Chlorhähnchen nach Europa...,

     

    guten Appetit

  • Mich wundert es, dass niemand in Erwägung zieht, dass das Virus sich über die Luft ausbreitet. Alle Mastanlagen haben Lüftungssysteme und sind dadurch sehr schlecht von der Außenwelt abgeschirmt.

    Das Aufstallungsgebot betrifft hauptsächlich die, die ihr Geflügel artgerecht halten und anscheinend keine Infektionen feststellen.

    In Zeiten der staatlich subventionierten Massentierquälerei, ist die Alternative den Entscheidungsträgern ein Dorn im Auge.

    Das Keulen ganzer Bestände zeigt, auf welches Niveau sich diese einlassen. Ist dieses Handeln eines Menschen würdig oder sollten wir Homo Sapiens einen neuen Namen verleihen?