■ Preis der Überzeugung: Angst vor Worthülsen
Uff, das ging gerade noch mal gut. Berlin ist um Haaresbreite an einer Revolution vorbeigeschlittert. Viel hat nicht gefehlt, und greise Politbüromitglieder würden das rote Zepter schwingen. Doch noch bevor die rote Fratze des Sozialismus auch nur durch die Rathaustür grinsen konnte, hat Innensenator Schönbohm die freiheitlich-demokratische Grundordnung wiederhergestellt.
Der ehemalige Volkspolizist und PDS-Bezirksstadtrat Olaf Albrecht hat sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht: Er hat die „Rahmenbedingungen für alternative Politik im Bezirksamt“ kritisiert. Daß er seine freie Meinungsäußerung in einer PDS-Postille mit so garstigen Worten wie „Diktatur des Geldes“ und „unmenschlich monopolkapitalistischer Staat“ gespickt hat, zeigt nur, daß er damals im Staatsbürgerkundeunterricht aufgepaßt hat. Daß die Innenverwaltung vor solch leeren Worthülsen das große Zittern kriegt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht sieht, spricht für ihre panische Angst vor Andersdenkenden. Die Folgen solcher Angst bekam Albrecht schon zu DDR-Zeiten zu spüren. Als Genosse hatte er es gewagt, die En-gros-Übernahme von FDJlern in die SED zu kritisieren, und war aus der Partei geflogen. Wurde Albrecht in der DDR, wo es mit der freien Meinungsäußerung noch weit weniger her war, mit seiner Kritik unterschätzt, wird ihm jetzt viel zuviel der Ehre zuteil. Nähme die Innenverwaltung die rechten Sprüche mancher Polizisten ebenso ernst wie die verquasten linken Theorien des ehemaligen Vopo Albrecht, müßte sie ganze Hundertschaften vom Dienst suspendieren. Soll Albrecht doch wieder bei der Polizei mitmarschieren. Dann wird er schon sehen, wie weit er mit seiner marxistischen Dialektik kommt. Barbara Bollwahn
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