: Angst und Schrecken im Südlibanon
Drei Brennpunkte sind es, in denen sich zur Zeit im Libanon konkretisiert, was im Ausland als „Lagerkrieg“ bezeichnet wird. Das ist zum Beispiel Beirut, wo zwei palästinensische Lager durch die schiitische Amal heftig attackiert werden. Der in den letzten Tagen weltweit bekanntgewordene Ort Maghdouche ist eigentlich ein christliches Dorf, welches deshalb zwischen die Fronten geriet, weil es strategisch genau an dem Punkt liegt, von dem aus die Palästinenserlager um die Hafenstadt Saida beschossen werden können. Das Zentrum der Auseinandersetzungen aber ist nach wie vor Sour, wo die Kämpfe auch ihren Ausgang nahmen, weil die Amal sich offenbar vorgenommen hatte, den Einfluß der PLO im Südlibanon endgültig zu brechen. Kaum haben wir die sunnitische und Palästinenser–freundliche , oder genauer: Amal–feindliche Stadt Saida hinter uns gelassen, befinden wir uns schon im „Niemandsland“, zwischen den sunnitischen Milizen aus Saida und den Posten von Amal und der libanesischen Armee. Die Straße in den Süden ist völlig ausgestorben. Der Regen der letzten Tage hat sie in eine Matschpiste verwandelt. Zur Rechten und Linken erstrecken sich Obstplantagen, schwer hängen die Zweige mit Apfelsinen und Zitronen zu Boden, die ersten Früchte vergammeln bereits auf der Erde. Es ist Erntezeit. Doch geerntet wird nicht. Die palästinensischen Landarbeiter fallen wegen der Lagerkriege aus. Ein Problem für die schiitischen Landbesitzer, aus deren Kassen so manch beträchtliche Summe an Amal fließt. Es geht um die nackte Existenz Am Ortseingang von Sour dann das Palästinenserlager Al Bass mit 5.000 Bewohnern. Alle Geschäfte entlang der Straße sind verschlossen und verrammelt. Später hören wir, daß Amal beschlossen hat, einen Streifen des Lagers von zwanzig Metern Breite plattzuwalzen, um die Küstenstraße zu verbreitern. In Sour wird nicht wie in anderen libanesischen Städten gegen den Krieg gestreikt. Hier findet Krieg statt. Ein Lautsprecherwagen fährt durch die Straßen und mobilisiert die Bevölkerung für eine Beerdigung. Der Tote, ein Milizionär von Amal, ist bei den Kämpfen um Maghdouche gefallen. In den letzten Tagen, besonders nachdem die Palästinenser Maghdouche erobert haben, hat sich das Klima in Sour dramatisch verschlechtert. „Die Zeit der Palästinenser im Südlibanon ist vorbei, ein für allemal vorbei“, konstatiert ein libanesischer Bekannter gleich bei der Begrüßung. „Es geht jetzt nur noch um die nackte Existenz der Palästinenser. Seit der Eroberung Maghdouches ist hier die Zeit des Hasses und der Rache ausgebrochen. Wenn die Straße nach Saida wieder sicher ist, werden die palästinensischen Familien reihenweise die Stadt verlassen.“ Eine dieser Racheaktionen ereignete sich am Vortag im Lager Al Bass. Wie ein Augenzeuge berichtete, zogen aufgebrachte Angehörige aus einem nahen Schiiten–Dorf durch das Lager, nachdem zwei Amal–Kämpfer in Maghdouche gefallen waren. Sie zertrümmerten die Fenster von 22 Häusern, gossen Benzin hinein und steckten die Häuser an. Zwei Palästinenser kamen dabei ums Leben. Die Frauen und Kinder, die meisten von ihnen zu dieser frühen Stunde noch im Nachthemd und barfuß, flohen in das nahegelegene libanesische Krankenhaus und in die Schule der UNRWA (UN–Hilfswerk für Palästina–Flüchtlinge). Im Lager herrscht nun Angst, das Beispiel könne Schule machen. Überall, in Sour selbst, aus den Lagern Al Bass und Bourj Shemali sowie aus dem Dorf gleichen Namens vernimmt man hinter vorgehaltener Hand Berichte über Nachbarn, Bekannte, die von Vermummten abgeholt worden seien. Nach Einbruch der Dunkelheit, bei Kerzenschein oder im Licht der Petroleum–Lampen um ein Becken glühender Kohlen gekauert werden die neuesten Gerüchte gehandelt und bewertet. Seit nunmehr sechs Wochen gibt es im ganzen Südlibanon keinen Strom mehr, Diesel und Gas zum Heizen sind längst Mangelware geworden. Gelegentlich geht ein Blick zum Fenster, daß nicht der falsche mithört. Wer nicht auf seiten Amals steht, hat Angst. Im Palästinenserlager Rashediyeh, das seit dem 30. September von den Amal–Milizen von der Außenwelt abgeschnitten ist, ist alles beim alten. Das Lager mit seinen schätzungsweise 17.000 Einwohnern unterliegt nach wie vor gelegentlich heftigem Beschuß. Eine Ankündigung von Amal, Hilfslieferungen zuzulassen, erwies sich als Propagandatrick. Zwar wurden ein paar Autos des libanesischen Roten Kreuzes mit Gütern für die Palästinenser auf der Straße nach Rashediyeh pressewirksam fotografiert, nur sind die Autos dort nie angekommen. Ein Konvoi des Internationalen Roten Kreuzes mit Lebensmitteln und Medikamenten wurde beschossen. Kein Zusammenleben mit Palästinensern Das Lager Bourj Shemali wurde mittlerweile ebenfalls umzingelt. Auch Frauen, die noch kürzlich durch die Sperren am Lagerrand schlupfen konnten, dürfen heute das Lager nicht mehr verlassen. Da bereits vorher niemand mit größeren Mengen von Lebensmitteln hereingelassen wurde, dürften Grundnahrungsmittel knapp sein. Außerdem fallen die Lieferungen der UN–Hilfsorganisationen für Palästinenser aus, nachdem die UNRWA ihre Dienste im Südlibanon vorübergehend eingestellt hat. Hier wurden erneut 80 Männer festgenommen, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen. In der Zeit wo die Mehrheitsmeinung in der Region sich in dem Satz zusammenfassen läßt: „Nach dem was geschehen ist, können wir nicht mehr mit Palästinensern zusammenleben“, und dem Vorgehen der Amal gegen die palästinensische Bevölkerung, das durchaus rassistische Züge trägt, wundert es nicht, wenn palästinensische Familien ihre Wertgegenstände zu Schleuderpreisen verkaufen. Doch wenn die Straßen nach Saida wieder sicher und die Lager wieder offen sind, wenn tatsächlich palästinensische Familien gleich scharenweise die Region verlassen, könnte das Erwachen für die Schiiten Sours bitter werden. Noch vor fünfzehn Jahren war Sour ein unbedeutendes Nest, aufgebaut wurde es mit palästinensischem Geld, und nicht nur die schiitischen Plantagenbesitzer sind auf palästinensische Arbeitskräfte angewiesen. Aufgeklärte Geister sehen schon eine finstere Zukunft voraus, denn bereits heute können sie keine Palästinenser mehr beschäftigen. Als Palästinenser–freundlich zu gelten, so wird einem von allen Seiten geraten, gilt es tunlichst zu vermeiden. Zahra Haidar
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