: Angst essen Hühnchen auf Von Carola Rönneburg
Die Maschine wird planmäßig starten. Jedenfalls laut Anzeigetafel, und das bedeutet: Der Flug wird nicht gestrichen. Das bedeutet auch: ich muß gleich in dieses Dings einsteigen.
Meine Bordkarte wird kontrolliert. Die Dame an der Abfertigung findet nicht, daß das eine Bordkarte ist. Doch, sage ich. Ich hätte sie nur aus Versehen etwas zerknüllt, und dabei sei sie leider auch ein bißchen feucht geworden. Man glaubt mir und entläßt mich in den wackeligen Tunnel, der zum Flugzeug führt. Jedenfalls muß das der Tunnel sein, der da so wackelt. Vielleicht bin ich es aber auch. Vielleicht sinke ich hier in Ohnmacht, und das wäre schon eine gute Sache. Für diesen Fall trage ich ein Schild um den Hals: „Wenn ich ohnmächtig werde, schnallen Sie mich bitte an meinem Platz fest und verzichten Sie unbedingt auf Wiederbelebungsversuche, bis wir sicher notgelandet sind.“
Es geht jetzt los. Die Triebwerke klingen komisch. Soll ich das melden? Wenn das nun außer mir niemand gehört hat? Bestimmt haben sich einige Schrauben gelöst, sind schon irgendwo fest verhakt und unterbrechen gleich den Anschub! Ich starre auf die Doppelseite „Traumziel Venedig“ in der Flugzeugillustrierten. Vielleicht hätte ich nach Venedig fahren sollen statt nach London. Mit dem Zug.
Das Dröhnen hat plötzlich aufgehört. Maschinenschaden! Nur noch einen Moment, dann sacken wir ab! Doch nicht. Noch nicht. Die Stewardessen laufen nun geschäftig auf und ab und fragen nach Getränkewünschen. Ich versuche, aus ihren Gesichtern den Ernst der Lage abzulesen. Gut geschult, lächeln sie nett. Sie halten sich streng an ihre Dienstanweisung und sind dabei, eine Massenpanik zu verhindern. „Was möchten Sie trinken?“ werde ich freundlich angesprochen. Einen Liter Valium, glaube ich, entscheide mich aber für Wein. Ich wünschte, ich dürfte rauchen, bevor es zu Ende geht, aber das ist nicht mehr erlaubt. Man muß jetzt gesund sterben. Und ich wünschte, sie würden mir Malstifte geben und ein Malbuch.
Weil der Klapptisch klemmt, kann ich das Abendessen nicht ordentlich unterbringen. Das liegt an der Flugzeugillustrierten, die ich zu einem handlichen Würfel geformt und in die Ablage gestopft habe. Aber das Hühnchen in Plastikschale ist ein gutes Zeichen: Wenn man alles aufißt, stürzt man nicht ab. Die Beilage zählt übrigens nicht mit.
Mein Nachbar, ein furchtloser Kerl, der den Fensterplatz eingenommen hat, bestellt Kaffee. Er müsse jetzt mal wieder wach werden, informiert er mich. „Fliegen macht müde“, sagt er. Er sei schon die ganze Woche unterwegs und müßte heute abend noch an einem Geschäftsessen teilnehmen. „Was machen Sie denn beruflich?“ krächze ich, während ein entsetzliches Rütteln beginnt, das uns gleich eine Tragfläche kosten wird. Innerlich füge ich hinzu: „Erzählen Sie, bitte! Lenken Sie mich ab! Ich interessiere mich auch sehr für Bauwirtschaft!“
Wir beginnen nun den Landeanflug. Man hat uns verschwiegen, daß das Fahrwerk kaputt ist. Die Beilage zählt doch mit. Eine Bauchlandung steht bevor, und auf dem Flughafen wird gerade ein Schaumteppich ausgelegt, den wir dann verfehlen werden.
Wissen Sie, warum der Papst Rollfelder küßt? Ich ja.
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