: „Angola“ liegt im Nirgendwo
Zwei Millionen Flüchtlinge leben in Lagern um Sudans Hauptstadt Khartum. Nur Verschläge dürfen sie sich bauen, alles Dauerhafte wird zerstört ■ Aus Khartum Karim El-Gawhary
Trostlos bläst der staubige Wind über die Ruinen der Häuser, deren halbverwehte Grundmauern fast bis zum Horizont reichen. „Hier haben wir gelebt, bis die Regierung letzten Dezember mit Soldaten und Bulldozern kam“, erzählt Ismail und deutet auf das Meer aus langsam zerbröselnden Lehmziegeln unweit des Stadtrandes der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Damals, so schätzen Mitarbeiter der UNO und andere vor Ort arbeitende Hilfsorganisationen, haben bis zu 10.000 Familien ihr Dach über dem Kopf verloren, als die Armee ohne Vorwarnung mit ihren Bulldozern hier ankam.
„Neuplanung“, nennen sudanesische Regierungsvertreter wie Abbas Ajack diese Politik der Zerstörung der ärmlichen Behausungen illegaler Landbesetzer rund um Khartum. Ajack ist der zweite Mann im „Department for Displaced“ – einer Art Abteilung für Menschen am falschen Platz. Er ist zuständig für die Menschen, die vor dem Bürgerkrieg im Süden in die Hauptstadt geflohen sind.
„Niemand verliert hier sein Haus, es wird lediglich neu geplant“, erklärt Ajack die Regierungsstrategie. Idealerweise sollen den Landbesetzern entweder der Boden auf dem ihre Häuser stehen offiziell überlassen werden oder es wird ihnen ein neuer Boden an anderer Stelle zur Verfügung gestellt, je nach Dauer des Aufenthalts. Sudanesen, die nachweisen können Familienoberhäupter zu sein und einer festen Arbeit nachzugehen, haben theoretisch nach einer gewissen Zeit ein Anrecht auf ein Stück Grund und Boden. Die ihnen zugewiesenen Orte sollen sich langfristig zu Vororten Khartums verwandeln, mit allen dazugehörigen Dienstleistungen wie Schulen und Krankenhäuser. So heißt es jedenfalls in den Papieren des Wohnungsministeriums. „Kümmert sich Europa ähnlich um seine Obdachlosen und Flüchtlinge?“ fragt Sudans Wohnungsminister Scharaf Eddin Ibrahim Bannaga. Nur wer nach 1990 in die Hauptstadt kam, hat dagegen kein Recht auf Grund und Boden und soll in temporären Lagern auf die mögliche Rückkehr in den Süden warten. „Als die jetzige Regierung 1989 an die Macht kam, gab es 24 illegale Slumgebiete rund um die Stadt. Dann hat die Regierung beschlossen ihnen ein menschliches Leben zu ermöglichen und ihnen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die es selbst in den Dörfern rund um Khartum nicht gibt“, erklärt Ajack.
„Neuplanung mit dem Bulldozer“
In der Theorie ist das keine schlechte Idee. Denn irgendwo müssen sie doch am Ende hin, die fast zwei Millionen Menschen, die sich rund um Khartum niedergelassen haben. Fast 40 Prozent der Hauptstadtbevölkerung machen sie aus. Aber die Ausführung des Plans und der Umgang mit den Menschen mache die ganze Aktion fragwürdig, sagen UN-Mitarbeiter vor Ort. Hunderttausende wurden in den letzten Jahren durch die „Neuplanung mit dem Bulldozer“ bestenfalls umgesiedelt, schlimmstenfalls obdachlos.
Der Ort von Ismails Behausung namens „Angola“, wird in den Registern der verantwortlichen Ministerien nicht als Lager, sondern als illegale Siedlung geführt. Das war denn auch der Grund für das Wüten der Bulldozer vor fünf Monaten. Seitdem warten die Menschen hier auf ihre neue Zukunft. Manche mit weniger, andere mit mehr Hoffnung. Einige hatten sogar schon Anzahlungen für den ihnen versprochenen neuen Grund und Boden geleistet. Doch weil das Warten auf den Resten ihrer alten Häuser im Winter zu kalt geworden ist, haben sie inzwischen am Rande der Ruinen eine neue verzweifelte Siedlung aus Sackleinen, Lappen, Pappe, Plastiktüten und Schilf errichtet.
Bis zu zehn Menschen leben in den Behausungen. Ein feste Lehmhütte aufzubauen, ist verboten. Geduldet wird nur Vorübergehendes. Manche haben dennoch die eine oder andere Wand hochgezogen. Strom hat es selbst in den alten, jetzt niedergerissenen Hütten nicht gegeben, und das schal schmeckende Wasser wird in kleinen Tanks mit Eselskarren herantransportiert und nur gegen Bezahlung ausgegeben. Nur der Müll scheint kein großes Problem zu sein. Wer nichts hat, der schmeißt auch nichts weg, und was länger hält, kann auch zum Bau der Verschläge verwendet werden. Trotz der vielen Menschen wirkt der sandige Boden wie reingefegt.
„Man hat uns hier einfach abgeladen, und Gott läßt uns nicht sterben.“ Ismail lacht sarkastisch über den Satz der gerade über seine Lippen ging. Er sitzt mit seiner Familie in einem der zusammengezimmerten Verschläge. Irgendwo hat jemand für die Erwachsenen ein Feldbett organisiert. Die Kinder schlafen auf dem Boden. In der Ecke liegt ein bunter verbeulter Blechkoffer mit den wenigen Habseligkeiten der Familie, mit einem Vorhängeschloß vor jedem Zugriff gesichert. Selbst das „fast Nichts“ gilt es in der Umgebung der Habenichtse zu sichern. Auf dem Koffer ist der Spirituskocher aufgestellt. Fleisch hat der Topf darauf noch nie gesehen. Meist wird dort eine braune Masse aus dem Getreide Sorghum zubereitet. Das einzige, was die Menschen hier am Leben erhält. Und manchmal tut es kaum das. Viele der Kinder sind schwer unterernährt.
„Arbeit?“, Khamis lacht. Gelegentlich verdinge er sich als Tagelöhner auf dem Markt von Om Durman auf der westlichen Nilseite. Der Lohn reiche aber kaum dazu aus, die Fahrtkosten zu bezahlen. „Angola“ liegt weit außerhalb im Nirgendwo. Andere haben die Idee mit der Arbeit inzwischen ganz aufgegeben. Einige Männer sitzen angetrunken unter einem Blechdach der ebenfalls provisorischen örtlichen Kneipe. Dort trinken sie von morgens bis abends Marisa, ein aus Sorghum gegorenes Bier. Schon zur Mittagszeit können viele von ihnen nicht mehr stehen, geschweige denn ganze Sätze formulieren. Das ist die Endstation der Siedlung in einem Land, in dem der Alkohol nach islamischem Recht offiziell verbannt ist.
Dann gibt es wiederrum jene, die nie aufgeben würden. Einer von ihnen ist der örtliche Blechschmied. Das Gehämmer aus seiner Werkstatt, einem mit Planen zusammengezimmerten offenen Zelt, dröhnt über die ganze Siedlung. Daneben liegt ein Haufen Autoschrott, der von den Arbeitern des Schmieds zu Töpfen verarbeitet wird. Einmal die Woche kommt dann der Händler vom Markt, lädt die fertigen Stücke auf und drückt dem Schmied ein paar vergilbte sudanesische Pfunde in die Hand. Damit kann er gelegentlich etwas Gemüse für seine Familie kaufen.
Die Kneipe ist die Enstation des Lagers
Ismail, Khamis, die Marisa-Leichen unterm Blechdach und der Blechschmied – sie alle kommen, wie die meisten hier, aus den Nuba-Bergen, einer Region im Zentrum Sudans. Als Mitte der 80er Jahre der Bürgerkrieg aus dem Süden in die Region getragen wurde, war sie eine der landschaftlich schönsten Gegenden des Landes, aber gleichzeitig eine der gottverlassensten. Die Einwohner widersetzten sich den zunehmenden Arabisierungsversuchen aus dem Norden, und einige Gruppen schlossen sich dem südlichen Widerstand der SPLA an. Vor sechs Jahren wurden die Nuba-Berge zur geschlossenen Militärzone erklärt. Organisationen der Einwohner Nubas sprechen seitdem von einer ethnischen Säuberung, die in Khartum befohlen wurde. Die Regierungstruppen würden eine Blut-und-Boden-Strategie verfolgen. Militärisch gewonnen hat allerdings in all den Jahren keine Seite. Die Regierungstruppen kontrollieren die Städte der Nuba- Berge. Aus Angst vor Angriffen bewegen sie sich im Umland nur in Konvois. Gelungen ist nur der massive Exodus derjenigen, die nicht direkt am Krieg beteiligt waren.
Ismail ist wie die meisten aus Angola in den letzten zehn Jahren nach Khartum gekommen. Ob er jemals wieder zurück will, weiß er nicht so recht. In den Nuba-Bergen gibt es nichts; es wäre besser, in Khartum Arbeit zu finden, erklärt er. „Was soll ich heute in den Nuba-Bergen? Selbst wenn es wieder Frieden gibt, gibt es dort keine Baustellen.“ Ein anderer Verwandter schüttelt den Kopf. „Dort könnten wir wenigstens Getreide anbauen“, sagt er.
Für die Regierung stellen Ismail und die seinen ein Dilemma dar. Mißtrauisch beobachtet sie die potentielle fünfte Kolonne der südlichen Rebellen in der Hauptstadt. Werden die Vertriebenen dagegen auf Lastwagen wieder zurückgekarrt, schließen sie sich in den Nuba-Bergen möglicherweise wieder den dort operierenden Rebellen an. Einige Dutzend internationale und nationale Hilfsorganisationen versuchen in den Siedlungen rund um Khartum mit Essenverteilung, minimaler medizinischer Versorgung und dem Bau von Latrinen Abhilfe zu schaffen. Mit der Regierung und untereinander herrscht Spannung. Die einen lassen sich von der Regierung einspannen, die anderen prangern die Verhältnisse an und werden von der Regierung mit bürokratischen Hindernissen bedacht.
Muhammad Muhammadi, der algerische Chef der französischen Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort beschreibt das Ganze als „Paranoia auf allen Seiten“. Um die Zwistigkeiten unter den Hilfsorganisationen zu erklären, müsse man nur auf deren Namen sehen. Die eine Hälfte beginne mit „Christlich“, die andere mit „Islamisch“. Schuld an der Misere gibt er auch den internationalen Geldgebern, die aus Protest gegen die islamistische sudanesische Regierung ihre Entwicklungsgelder eingefroren haben und heute nur noch für Notprogramme zahlen. Wenn es kein Geld für langfristige Entwicklungsprogramme für die Vertriebenen gibt, die ihnen die Integration in die Hauptstadt ermöglichen, dann schafft man eben ständige Notsituationen, auch wenn das bedeutet die Häuser niederzureißen, ohne Ersatz zu schaffen. „Ihr wollt Not, wir schaffen Not“, nennt Muhammadi die Devise der Regierung gegenüber den internationalen Geldgebern. Vorsichtig versucht seine Organisation die Geldgeber für längerfristige Programme zu gewinnen. „Es wäre schon viel erreicht, wenn nicht mehr von Vertriebenen, sondern von sudanesischen Staatsbürgern geredet würde, und wenn endlich damit aufgehört würde, zwischen Süd- und Nordsudanesen zu unterscheiden“, lautet Muhammadis einfaches aber gleichzeitig ziemlich utopisches Rezept.
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