: Angestauter Frust
■ »Kurt Raab · Hommage aus der Provinz«. Eine Zensur der Fassbinder-Werkschau am Alexanderplatz
Die Fassbinder-Werkschau am Alexanderplatz bietet einigen Besuchern viel, einigen wohl auch wenig — dem Lesehungrigen bietet sie eines aber ganz sicher nicht: das Buch Kurt Raab · Hommage aus der Provinz von Hubert Ettl. Es wurde von der »Fassbinder-Foundation«, dem Veranstalter der Werkschau, insbesondere von Juliane Lorenz der Präsentation auf dem Büchertisch für unwürdig befunden und dort kurzerhand verboten. Das Buch ist eine Biographie Kurt Raabs, der von 1967 an als Schauspieler, Ausstatter, Drehbuchautor und Regieassistent zu den engsten Mitarbeitern und Freunden Rainer Werner Fassbinders gehörte, bis sich die beiden 1977 im Streit trennten. Kurt Raab starb im Juni 1988.
Einen großen Teil des Buches machen autobiographische Zitate Raabs aus. Diese sind hauptsächlich seinem Buch Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder entnommen, in dem er sich sehr offen mit Fassbinders und seinem eigenen Leben auseinandersetzt und dabei sowohl sein eigenes Verhalten als auch das Fassbinders kritisch beleuchtet. Und genau hier scheint für die »Foundation« das Problem zu liegen. Im Buch würden Sachverhalte zu subjektiv und bis zur Unwahrheit verzerrt dargestellt, rechtfertigt Juliane Lorenz das Buchverbot. Raab projiziere seinen nach der Trennung von Fassbinder angestauten Frust und seine verletzten Gefühle auf dessen Person. Das sei unglaublich, da er doch »ohne Fasbinder nichts gewesen wäre, dem er schließlich alles verdankte« (was Raab selbst auch immer betonte).
Ohne Hemmungen gibt Frau Lorenz zu: »Ja, das ist eine Zensur!« Aber sie habe das Recht dazu, denn »der Rainer war gar nicht so, wie Raab ihn darstellt.« — Oder hat sie Fassbinder einfach nur anders erlebt? Auf jeden Fall stellt sich die Frage nach der Legitimation, anderen das Recht auf ihre Sicht der Dinge abzusprechen, um gleichzeitig dieses Recht für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Die »Foundation« — schon den posthumen Rufmord vor Augen — will die Sachverhalte, wie sie in Ettls Buch dargestellt werden, nicht unterstützen, was allerdings auch nicht heißen muß, völlige Intoleranz walten zu lassen. Zumal es ja immerhin noch solche Fassbinder- Interessierte gibt, die sich gern ihre eigene Meinung über die »Legende« bilden und deshalb sowohl die positiven als auch die negativen Seiten (die dem Kenner ohnehin schon bekannt sind) kennenlernen wollen. Schließlich kann das, was dem einen lästig ist, dem anderen durchaus wichtig erscheinen. Es ist anmaßend zu behaupten, die eigene Be- bzw. Verurteilung muß für alle gelten. Oder ist das Vertrauen der »Foundation« in die Fähigkeit des Lesers, selbst zu urteilen, so gering?
Buchautor Ettl, der auf dem Münchner Fest anläßlich Fassbinders 10. Todestag frühere Mitarbeiter des Regisseurs vom Buchverbot in Berlin unterrichtete, stellte Befremdung und Empörung fest. Daß es gerade bei einer Gedenkveranstaltung für Fassbinder, den Tabubrecher und Provokateur, zu einer Zensur kommt, empfindet er selbst »geradezu pervers«. Was würde wohl der Chef selbst dazu sagen? Elke Lachert
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