: Angespannte Lage in Jugoslawien
Am kommenden Wochenende läuft das Ultimatum gegen Slowenien und Kroatien ab Intensive Verhandlungen zur Neuordnung des Vielvölkerstaates weiter fortgesetzt ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler
Im Schatten der Ereignisse in Litauen bangen auch die nordjugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien um ihre angestrebte Souveränität. Denn am kommenden Wochenende, in der Nacht vom Freitag auf Samstag, läuft das Ultimatum der jugoslawischen Volksarmee ab. Sie hatte gedroht, „alle paramilitärischen Verbände“, die sich angeblich eigenmächtig in den Republiken bilden konnten, notfalls mit Gewalt zu entwaffnen.
Nun sind starke Worte von seiten der Armeespitze in Jugoslawien nichts Neues. Hohe Generäle beschwören regelmäßig die Gefahr eines Bürgerkrieges herauf und nennen auch die vermeintlichen kroatischen, albanischen und slowenischen „Separatisten“ beim Namen — doch erstmals war eine Frist gesetzt worden. Um nicht das Gesicht zu verlieren, müßte die Armee am kommenden Wochenende tatsächlich etwas unternehmen, denn sowohl Slowenien als auch Kroatien beharren nach wie vor auf einer eigenen Landesverteidigung. Sie weigern sich, ihre eigenen paramilitärischen Sondereinheiten aufzulösen. Der Regierungschef von Ljubljana, Joze Pucnik, erklärte nach Berichten gestern erschienener slowenischer Tageszeitungen: „Das Ultimatum der Waffenabgabe ist für uns gegenstandslos, wir werden dem nicht Folge leisten.“ Die Entsendung von Truppen nach Slowenien sei „nicht völlig auszuschließen, aber doch recht unwahrscheinlich“.
In Ljubljana glaubt man, der „erste Schlag“ könnte gegen die kroatische Republiksregierung geführt werden. Aus Kroatien waren dann gestern auch nervösere Reaktionen einzufangen. Wie in Ljubljana traf man sich schon am Vortag zu einer Krisensitzung wegen Litauen. Der kroatische Präsident Tudjman beteuerte gestern, Kroaten und Litauer teilten das gleiche Schicksal als kleine vergessene Völker Europas. „Es wäre sehr verhängnisvoll, sollten jene jugoslawischen Armeekreise, die schon lange auf Abenteuer aus sind, durch die Militärintervention in Litauen Mut geschöpft haben, selbst aktiv zu werden.“
Demgegenüber betonte der jugoslawische Staatspräsident Borislav Jovic, jeder Vielvölkerstaat könne nur durch eine starke Zentrale politisch gelenkt werden. Doch außer diesen Warnungen gibt es noch keine konkreten Anzeichen dafür, daß es auf dem Balkan zu einer ähnlichen Entwicklung wie im Baltikum kommen könnte. Zwar hatte am Montag abend das oberste Verfassungsgericht Jugoslawiens entschieden, das slowenische Plebiszit vom Dezember, in dem fast 85 Prozent aller Slowenen für eine allmähliche Eigenstaatlichkeit plädierten, sei null und nichtig. Dennoch gehen hinter verschlossenen Türen intensive Verhandlungen zur Neuordnung des Vielvölkerstaates unvermindert weiter. Alle Beteiligten beteuern seit Tagen, man sei von Resultaten noch weit entfernt. Dennoch werde man am runden Tisch weiterverhandeln. Bis zum Wochenende soll auf höchster Ebene vor allem die Frage gelöst sein, wie die Armee aus dem politischen Leben herauszuhalten sei und wie man die Landesverteidigung so organisieren könne, daß sich kein Brudervolk vom anderen bedroht fühle. Bis zu einer Einigung wollen weder Slowenien noch Kroatien ihre kürzlich ins Leben gerufenen Sondereinheiten freiwillig auflösen. Als Langziel wolle man auch nicht von den Träumen eines Nationalstaates ablassen. In einer Litauen-Erklärung des slowenischen Parlaments heißt es, die internationale Gemeinschaft zeige nach wie vor wenig Verständnis für Völker, denen es bisher verwehrt gewesen sei, einen eigenen Staat zu gründen. Eine klare Anspielung auf die eigene Situation. Denn noch immer hält Europa wenig von den Souveränitätsbestrebungen der Slowenen und Kroaten und hofft auf einen Fortbestand des jugoslawischen Staates.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen