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Angepisstsein im nicht-marxistischen Sinn

■ Slipknot und Konsorten mobbten im Pier 2. Für alle, die „ohne Zukunft und ohne Leben sind“

So läuft das Business, wie der Kaiser sagen würde: Kaum waren die Gitarre und der Rock für tot erklärt, feierte er seine Auferstehung. Ältere Herren sagen zwar: „Das ist alles schon mal dagewesen“, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Das dann doch immergleiche Bedürfnis nach dem echt wilden Vergnügen sucht sich eben immer auch eine neue Form. So elementar es ist, sich zu knütteldickem Krach gehen zu lassen, so wenig geht es selbstredend an, dies bei einem Krach zu tun, der genau so schon da war, denn letztlich will die Zielgruppe dann doch unter sich sein. Metal ja, aber dann muss es schon ein neuer Metal à la „Nu Metal“ sein. Bevor Limp Bizkit, die Könige der Bewegung, in die Stadthalle kommen, wofür übrigens zarte 70 Mark zu löhnen sind, gab es die Hofnarren Slipknot samt drei Anwärmern am Donnerstag zum bescheidenen Preis von 45 Mark im Pier 2 zu sehen.

Und es gilt die Nuancen zu betrachten. Auch wenn vordergründig der ganze Quatsch mit den Masken ganz sicher die alte Masche von Alice Cooper und Kiss recycelt, sind doch deutliche Unterschiede auszumachen. Hier wie dort wird der Spaß zwar mit der moralischen Attitüde des Spiegelvorhaltens verbrämt. Slipknot und Genossen warten jedoch mit anderen Botschaften auf.

Angepisstsein und Entfremdung im nicht-marxistischen Sinn scheinen derzeit die angemessene Äußerungsform zu sein. Slipknot erwecken via uniformer roter Overalls mit aufgedruckten Barcodes und Masken die beliebte Kritik an der Gleichmacherei zu neuem Leben.

„Das nächste Stück ist denen gewidmet, die ohne Zukunft, ohne Leben, nur mit sich selbst und der Musik aufgewachsen sind“, verkündete der Haupthampelmann von Slipknot unter Beifall. Die unschöne Sitte, sich mit seinen Sorgen als etwas ganz Spezielles sehen zu wollen, scheint ulkigerweise recht identitätsstiftend zu sein. Allerdings wäre es auch nicht korrekt, dies nun dem arglosen Publikum geschlossen zu attestieren. Letztlich bildet die Pose bloß das Material für den ganz simplen Spaß an der überdrehten Show (nicht nur) Slipknots.

Mudvayne, Amen und Static-X, die Vorbands von Slipknot, funktionieren ganz ähnlich. Amen wirkten dabei vielleicht noch etwas ehrlicher, weil sie sowohl auf alberne Masken verzichteten, als auch musikalisch auf jeden Schnickschnack – während vor allem Static-X bei 90 Beats pro Minute computergestützt durchschroteten.

Slipknot schließlich bestachen durch eine spektakuläre neunköpfige Besetzung mit DJ, zwei zusätzlichen Schlagzeugsets am vorderen Bühnenrand, die bei Bedarf in die Höhe gefahren werden konnten. Mit der vereinten Macht von drei Brüllern gelang die Agitation der Masse: „Wanna see your fuckin' hands in the fuckin' air!“ Ein fuckin' ergötzliches Spektakel.

Andreas Schnell

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