Angeklagt wegen versuchten Mordes: U-Bahn-Schläger vor Gericht
Kurz vor Weihnachten traten zwei Jugendliche in der Münchner U-Bahn-Station einen Mann fast zu Tode, was flugs zu Kochs Wahlkampfthema mutierte. Nun stehen die Tatverdächtigen vor Gericht.
Die Tat war der Ausgangspunkt für Roland Kochs Wahlkampf zu kriminellen Jugendlichen: Fast genau ein halbes Jahr ist es her, dass Serkan A. und Spyridon L. den früheren Realschulrektor Hubertus N. fast zu Tode traten. Ab diesem Montag müssen sich die zwei wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht München I verantworten. Das Urteil fällt möglicherweise schon am Freitag, da eine Überwachungskamera das Geschehen teils aufgezeichnet hat.
Am 20. Dezember nachts um zehn stiegen der Pensionär N. und die beiden jungen Angeschuldigten - Serkan A. ist in der Haft 21 Jahre alt geworden, Spyridon L. 18 Jahre - am Max-Weber-Platz in die U-Bahn. Laut Staatsanwaltschaft rauchte Spyridon L. und wurde daraufhin von Hubertus N. zurechtgewiesen. "Scheiß deutsche Sau, Schwein!" soll Spyridon L. erwidert haben. Augenblicke später verließen alle drei an der Endstation Arabellaplatz die U-Bahn. Im Zwischengeschoss liefen die beiden wohl angetrunkenen Burschen dem Pensionär hinterher. Serkan A. schlug ihm auf den Hinterkopf, es folgten Fußtritte und mindestens acht Faustschläge - aufgezeichnet per Videokamera. Spyridon L. trat den am Boden liegenden Lehrer mit Anlauf ins Gesicht - "nach Art eines Fußballers", wie sich die Staatsanwaltschaft ausdrückt. Mit dem Rucksack des Opfers liefen die beiden schließlich davon - und wurden am Sonntag nach der Tat von einem Sondereinsatzkommando verhaftet.
Nicht die Videoaufzeichnung, sondern ein früheres Opfer hatte die Polizei auf die Spur gebracht. Der Pensionär Hubertus N. lag zu der Zeit im Krankenhaus mit dreifachem Schädelbruch und Hirnblutung, ein Passant hatte ihn einige Minuten nach der Schlägerei entdeckt.
Doch die Tat ist nicht nur ein Fall von Justiz und Moral, sondern auch von Politik und Stimmungsmache. Denn Serkan A. und Spyridon L. sind nicht nur betrunkene, jugendliche Schläger. Sie sind auch Einwanderer: Spyridon L. ist 1990 in Thessaloniki geboren und kam erst vor einigen Jahren nach Deutschland. Serkan A. ist 1987 in München geboren - und wie sein griechischer Freund an diesem 20. Dezember 2007 wohl endgültig gescheitert an einer kaputten Familie, an Alkohol und Drogen. Auch das lange aktive Jugendamt konnte das nicht verhindern.
Das Aufwachsen in Deutschland und das mögliche Scheitern der Gesellschaft hierzulande war jedoch kein Thema, als Tat und Täter in zwei Wahlkämpfen auftauchen. Hessens Ministerpräsident Koch (CDU) macht die Münchner Schlägerei zu einem Hauptthema seines Landtagswahlkampfes, fordert ein härteres Vorgehen gegen kriminelle Ausländer. "Ich glaube, dass Roland Koch ja eigentlich von Herzen froh war, dass dieser schreckliche Vorfall in München in der U-Bahn passiert ist", kritisierte daraufhin erbost Peter Struck, SPD-Chef im Bundestag. Auch etwa die Hälfte der hessischen Wähler lehnte die Themensetzung Kochs ab, wie politikwissenschaftliche Analysen nach seiner Wahlniederlage ergaben. Auch die Münchner Konservativen versuchten zu punkten mit der Tat und ihrer harten Haltung gegenüber den Tätern. Im Kommunalwahlkampf plakatierte die CSU ein Standbild der Schlägerei. Zu sehen war, wie einer der Schläger auf den am Boden kauernden 76-jährigen eintritt. In dem weiß ausgesparten Umriss war zu lesen: " ... damit Sie nicht der Nächste sind". Auch die CSU erlitt eine Niederlage.
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