■ Kommentar: Angeklagt: die Senatorin
Wieder einmal mahnt die Justiz eine Korrektur der Berliner Flüchtlingspolitik an. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt erstmals einen Vormund geflüchteter Kinder angeklagt. Die Frau handelte ganz im Sinne von SPD-Jugendsenatorin Ingrid Stahmer, die im Falle unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge allzuleicht die Sichtweise der CDU übernimmt. Flüchtlinge werden als teure „Last“ betrachtet, die man möglichst schnell loswerden will. In diesem Geist hat Stahmer die Senatsvorlage von 1996 geschrieben, die mit der Konzentration der Vormundschaften in Treptow Kosten sparen will: durch die „Minderung der Zahl der in Berlin verbliebenen Asylsuchenden“. Die Senatsvorlage setzt sich über die politische Unabhängigkeit der Vormünder ebenso hinweg wie über Konventionen zum Schutz von Kindern, die die Bundesrepublik unterschrieben hat. Die Senatorin leistet damit dem Verstoß gegen geltendes Recht Vorschub. Sie tritt aber auch einen uralten Grundsatz mit Füßen: den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant, wonach der Mensch nicht als Mittel, sondern als Zweck zu betrachten sei.
Es ist nicht das erste Mal, daß die Justiz die Berliner Flüchtlingspolitik in ihre Schranken verweist. Erinnert sei hier an ein Urteil vom September 1997, das die Ausländerbehörde zwang, Flüchtlingen eine Duldung zu erteilen, wenn sie sie nicht abschieben kann. Mit der rechtswidrigen Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes durch die Sozialverwaltung deuten sich weitere für den Steuerzahler teure Verfahren an. Die Justiz jedoch kann Politik nicht ersetzen, sondern lediglich Lösungen anbahnen. Juristisch ist der Vormund angeklagt, politisch trifft das Verfahren jedoch Senatorin Stahmer selbst. Marina Mai
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