Andrés Iniesta geht nach China: „I love you baby“
Ein historischer Sieg zum Weggang Andrés Iniestas. Mit 5:0 schlägt der FC Barcelona den FC Sevilla im spanischen Pokalfinale.
Als das Spiel abgepfiffen wurde, sangen die Fans schon seit Minuten nur noch seinen Namen: „Andrés Iniesta“ zur Melodie von „I love you baby“. Ja, sie lieben ihn in Spanien, im ganzen Land, denn das war das Besondere bei den Ovationen in der Endlosschleife für den Kapitän des FC Barcelona: Sie kamen aus allen Tribünenblöcken, auch von den neutralen Zuschauern beim Pokalfinale in Madrid und auch von den Fans aus Sevilla, obwohl deren Team gerade mit einem historischen 0:5 abgerieben wurde.
Iniesta ist halt „Kulturerbe der Menschheit“, wie sein Extrainer Luis Enrique einmal sagte, und damit im politisch wie fußballerisch tief zerstrittenen Königreich der Einzige, der über allen Gräben steht.
Wobei man bald wird sagen müssen: stand. Offiziell will er es im Laufe dieser Woche bekanntgeben, aber im Barça-Kosmos wissen sie bereits, dass „ein harter Schritt“ ansteht, wie Iniestas Vater José Antonio vor der Partie gesagt hatte. Den 33-Jährigen zieht es offenbar nach China, wo ihm aus den Städten Tianjin und Chongqing schwindelerregende Offerten vorliegen, die sogar Abnahmegarantien für die jährliche Lese aus seinem Weingut umfassen sollen.
Die spanische Meisterschaft aber ist bei zwölf Punkten Vorsprung längst sehr sicher, die Champions League seit der infamen 0:3-Niederlage beim AS Rom vorzeitig beendet: Da war das Pokalfinale im neuen Estadio Wanda Metropolitano also wohl Iniestas letztes großes Hurra für seinen Lebensklub FC Barcelona, in dessen Internat er als Zwölfjähriger aus dem kleinen Dorf Fuentealbilla gezogen war.
Erst Iniesta machte Spaniens Fußball so richtig groß
Der Abschied gelang so grandios, dass es ihm nach seiner Auswechslung die Tränen in die Augen trieb. Nicht nur die ergebenen Zuschauer beschenkten ihn, auch die Mitspieler ehrten seine 16 Saisons und 31 Titel für den Klub mit Barças stilechtester Partie seit der Ära von Trainer Pep Guardiola. Jedes Tor eine eigene Delikatesse: Dem 1:0 von Luis Suárez ging ein so rasanter wie präziser 70-Meter-Pass von Pokaltorwart Jasper Cillessen voraus.
Zum 2:0 von Lionel Messi legte Jordi Alba per Hacke auf, zu Suárez’ 3:0 schickte Messi einen Pass wie einen Röntgenstrahl mitten durch Sevillas Abwehr und bevor Neuzugang Philippe Coutinho ein bereits erzieltes Tor wegen eines vorangegangen Pfiffs per Elfmeter zum 5:0 besiegelte, lieferte Iniesta selbst beim 4:0 den schönsten Baustein der eigenen Hommage: Nach Doppelpass mit Messi ließ er die Kugel mit einer Finte an Torwart David Soria vorbeilaufen und traf aus spitzem Winkel.
Die Szene folgte einer gewissen Mystik in Iniestas Karriere. Der schnöde Abschluss schien diesen filigranen Balltänzer nie sonderlich zu interessieren, aber wenn gewünscht und benötigt, dann erledigte er auch das. Sein Tor in der Nachspielzeit des Champions-League-Halbfinals 2009 bei Chelsea ermöglichte erst den späteren Mythos der Guardiola-Elf, sein Siegtor in der 117. Minute des WM-Finals 2010 machte aus einer Fußballnation ein Weltmeisterland. Der wohl beste Spieler in Spaniens Geschichte wurde so auch deren wichtigster. Nur konsequent, dass ihn das Madrider Sportblatt Marca gestern als „letzten Kaiser“ betitelte.
Politisch hat das Land schon lange nur noch einen König. Felipe V. hielt sich nach der Pokalübergabe brav im Hintergrund und musste ansonsten das traditionelle Pfeifkonzert aus der Barça-Kurve über sich ergehen lassen. Die „Copa del Rey“ wird ja ironischerweise von dem Klub am häufigsten gewonnen, der mit der spanischen Monarchie am wenigsten anfangen kann. Während Erzrivale Real Madrid meist an Lustlosigkeit scheitert und sich auf die Champions League konzentriert, steht Barça jetzt bei 30 Pokalerfolgen in der Geschichte. Einsamer Rekord.
Aber für einen globalen Megaklub bei aller Brillanz des Abends eben auch nur ein Trostpreis. „Das kann nicht zudecken, was in Rom passiert ist“, räumte Suárez ein. Wie die klubnahe Mundo Deportivo berichtete, gilt Trainer Ernesto Valverde trotz ansonsten perfekter Bilanz – die Liga könnte man ungeschlagen beenden – intern als angezählt. Die Frage nach einer soliden, aber glanzlosen Saison lautet: Warum schaltete die Mannschaft erst unter dem Eindruck der wüsten Kritik der letzten Tage aus Verwaltungs- in Spektakelmodus? Sicher auch, weil Sevilla sie ließ. Und natürlich, weil Andrés Iniesta zum Abschied nichts anderes verdiente.
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