piwik no script img

Andreas Speit Der rechte RandWer das Potsdamer Treffen relativiert

Das Selbstverständnis der Hamburger Bürgerschaftsfraktion der AfD prangt auf der Webseite: „Seit 2015 dem Wohle der Hamburgerinnen und Hamburger verpflichtet“. Mit dem „Mut zur Wahrheit“ sei die Partei angetreten. Vor allem das eigene Wohl und die eigene Wahrheit treiben die Fraktion seit dem Bekanntwerden des Potsdamer Treffens um, auf dem der Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, Pläne für eine „Remigration“ im großen Stil referiert hatte. Direkt danach hatte Fraktionschef Dirk Nockemann der Hamburger Morgenpost noch gesagt: „An einer Veranstaltung teilzunehmen, an der ein Martin Sellner teilnimmt, das ist ohne Sinn und Verstand.“

Wenig später dann die Kehrtwende: Die AfD-Fraktion lud einen Teilnehmer des Treffens ins Hamburger Rathaus ein: das CDU-Mitglied Ulrich Vosgerau. Der Jurist und Privatdozent der Universität Köln hatte an dem Treffen am 25. November vergangenen Jahres im Landhaus Adlon bei Potsdam teilgenommen. Nun ist er als Referent der regelmäßig stattfinden AfD-Veranstaltung „Fraktion im Dialog“ geladen. Der Titel für den Abend des 29. Februar macht die Tendenz klar – trotz Fragezeichens: „Was passierte in Potsdam wirklich? Ein Teilnehmer berichtet“. Bereits bei einer Fraktionssitzung habe der Rechtsanwalt „Fakten“ präsentiert statt „Fake News“, schreibt die AfD in der Veranstaltungsankündigung.

„Privates Treffen“

Darin versucht die Fraktion, die Rechercheergebnisse des Investigativportals Correctiv herunterzuspielen, nach denen der Rechtsextremist Sellner in Potsdam vor Mit­glie­dern von AfD und CDU sowie Un­ter­neh­me­r:in­nen über die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland gesprochen hat. Aus dem exklusiven Treffen wird bei der Fraktion ein „Pri­vattreffen“, aus Correctiv ein „Denunziationsportal“. „Deportationspläne“ hege die AfD zudem nicht, behauptet die Fraktion.

Ein Link führt zu einem Videointerview ihres Gastes Vosgerau mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit. In fast 30 Minuten führt Vosgerau aus, es habe sich bloß um eine „private Zusammenkunft eines Freundes- und Bekanntenkreises“ gehandelt, der sich „rein informell manchmal Düsseldorfer Kreis genannt hat“. Einzelne Teilnehmende seien auch seine Mandanten. Er sagt, in Sellners Vortrag sei es „nicht ausschließlich um das Remigrationsthema“ gegangen. Anders gesagt: um das Thema ging es sehr wohl. Den Referenten, einen der Strategen des Rechtsextremismus im deutschsprachigen Raum, nennt Vosgerau einen „umstrittenen Schriftsteller“. Die „Rückführung“ von Eingewanderten sollte nach Recht- und Verfassungsmäßigkeit erfolgen, gab Vosgerau Sellner wieder.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Rechtsmittel gegen Correctiv

Wie im Interview angekündigt, hat Vosgerau, der auch Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) ist, mittlerweile den Rechtsweg beschritten. Beim Landgericht Hamburg hat der Staatsrechtler einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen Correctiv eingereicht, der durch eidesstattliche Erklärungen von sechs weiteren Teilnehmern unterfüttert ist. Darin bestreiten sie vor allem, dass die Ausweisung von Staatsbürgern mit deutschem Pass thematisiert worden sei. Correctiv legte nun selbst sieben eidesstattliche Erklärungen vor, dass sie den Inhalt der Veranstaltung richtig wiedergegeben hätten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen