Andreas Rüttenauer Kulturbeutel: Sport ohne Gegner und Pokale zum Kuscheln
Mit einer Sportsbar auf dem Gelände der Architektur-Biennale haben wohl die wenigsten gerechnet, die sich in diesem Jahr auf den Weg nach Venedig gemacht haben. Beim Betreten der Bar blickten einige der braven Leute doch recht verdutzt drein. Sie mögen sich zuvor über nachhaltige Bauprojekte in Spanien informiert haben. Oder sie sind im deutschen Pavillon angesichts der dort ausgestellten Extremhitze in Klimapanik geraten. Vielleicht haben sie noch ein wenig nachgedacht über das Karl-Popper-Zitat, das über den ägyptischen Visionen für ein Leben von Wind und Wasser angebracht war: „Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab. Von uns allen.“
Nun standen sie im lila ausgeschlagenen Pavillon der Niederlande vor einem riesigen, Kurven schlagenden Tischkickergerät für mindestens zehn Spieler und Spielerinnen, die alle auf einer Seite stehen. Sie konnten sich auf Barhocker setzen und Aufzeichnungen von Sportereignissen verfolgen, die über die darüber angebrachten Bildschirme liefen. Man konnte auch zu einer Zeitung greifen, in der Ideen für einen solidarischen Sport vorgestellt werden. Signierte Trikots und Schals an den Wänden gibt es in der Sportsbar zu bewundern und die Besucher können sich über ausgestellte Pokale aus Schaumgummi wundern. Keine kalten Metallpokale für Sieger sind da zu sehen, sondern weiche Auszeichnungen zum Kuscheln – für den „orientierungslosen Fänger“ etwa.
Ein wahrhaft anderer Sport wird da präsentiert, ein diverser, ein inklusiver. „Sidelined“ heißt das Projekt von Kuratorin Amanda Pinatih und dem Designer Gabriel Fontana, der drei Sportspiele entwickelt hat, die das starre Mannschaftsgefüge der bekannten Disziplinen aufbrechen sollen. „Anonymous Allyship“ heißt eines dieser Spiele, bei der Teilnehmende jeden Alters alle das gleiche Trikot tragen und auf versteckte Hinweise achten müssen, um herauszufinden, mit wem sie wohl in einem Team spielen. Ziel sei es, Inklusion und Exklusion spürbar zu machen, die Auswirkungen sozialer Bindungen oder Entfremdung in der Gesellschaft aufzuzeigen. Als er das Spiel während der Olympischen Spiele in Paris im vergangenen Jahr auf der großen Bühne vor dem Rathaus vorstellte, haben die Menschen doch recht ratlos auf die Performance reagiert.
Sie waren ja gekommen, um auf den großen Bildschirmen klassischen Sport zu verfolgen, Sieger zu feiern und sich selbst dafür, dass sie aus dem selben Land wie die Sieger kommen. Vielleicht sind sie ja dort in Paris Zeugen geworden, wie die australische Breakdance-Athletin Rachel Dunn eine denkwürdige Performance abgeliefert hat. Keinen einzigen Punkt bekam sie von Kampfrichterinnen für ihre Vorstellung, in der sie Kängurusprünge nachgeahmt hatte und wie eine Krabbe gekrochen war.
Im bösen Teil des Netzes war sie damit zur Lachnummer geworden. Ihre Reaktion darauf zeugt von einem Sportbild, wie es durchaus seinen Platz haben könnte in der niederländischen Vision einer Sportsbar, wie sie noch bis zum 23. November in Venedig zu sehen ist. „Beim Breaking geht es vor allem um Positivität“, hat sie nach dem Shitstorm, in den sie geraten war, gesagt. „Wir richten einander auf. Ich weiß, dass es für die Leute auf X schwer ist, eine Welt zu verstehen, in der man nicht versucht, sich gegenseitig runterzumachen.“
In den USA spüren gerade trans Athlet:innen, wie es ist, von höchster staatlicher Stelle runtergemacht zu werden. Der durch und durch positive Ansatz der Sportsbar auf der Biennale ist im Gegensatz dazu wohltuend human. Queerpositiv ist er ohnehin. Er ist mehr als eine nette Spielerei. Er ist ein Gegenentwurf, den man ernst nehmen sollte.
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