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Andreas Hergeth Der WochenendkrimiFünf Schüsse, Dragqueens und Queerness nicht nur als Kulisse

Ja, was für ein wunderbarer Einstieg in den Münchner „Polizeiruf 110“ mit dem mysteriösen Titel „Ein feiner Tag für den Bananenfisch“: Drei Dragqueens in Glitzerbadeanzügen geben auf einer Bühne eine Synchronschwimmnummer zum Besten.

Morgens um vier schließen Tulip (Patrice Grießmeier), Menora (Božidar Kocevski) und Peekabou (Meik van Severen) ihren Club Rainbow ab und gehen durch einen Fußgängertunnel nach Hause. Dort geht das Licht per Bewegungsmelder an und aus. Am Ausgang bleiben sie wie angewurzelt stehen: Da sind zwei vermummte Gestalten, die einen Mann im Anzug mit fünf Schüssen in den Rücken töten. Merkwürdig: Die Täter drapieren ein Fischernetz über ihr Opfer. Ist das eine Art Visitenkarte?

Die drei ziehen sich ihre hochhackigen Schuhe aus, die würden zu laute Geräusche beim Weglaufen machen – in dem Moment nehmen sich die Mörder ihre Masken vom Gesicht und starren die Dragqueens an, denn das längst erloschene Licht ist wieder angegangen. Mist!

Und schon laufen sie um ihr Leben. „Lass“, sagt der eine Typ in einer nicht näher zu bestimmenden Sprache, die nach Osteuropa klingt, „die kriegen wir noch.“

Tulip, Menora und Peekabou wollen keine Aussagen machen. Wem sollen sie denn helfen, einer Gesellschaft, die sie bespuckt?

Kommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek) und ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) nehmen routiniert die Ermittlungen auf. Sie suchen die Nähe zu den möglichen Zeuginnen, denn die sind zur Tatzeit auf einem Überwachungsfilm auf der Flucht zu sehen – Panik in den Augen. Aber wie gewinnt man deren Vertrauen? Dazu tauchen Blohm und Eden, man muss es so formulieren, in eine für sie fremde Realität, in die Lebenswelt von queeren Menschen ein. Doch Tulip, Menora und Peekabou wollen keine Aussagen machen. Wem sollen sie denn helfen? Einer Gesellschaft, die sie hasst und bespuckt, wie sie dem Ermittlerduo erklären. Das ist eine starke Szene von vielen.

Ein feines Kabinettsstück ist die Fahrt der fünf im Auto aufs Land mit verbalem Schlagabtausch vom Feinsten. Beide Seiten schenken sich nichts. Aber sie brauchen einander. Denn die Dragqueens sind in Lebensgefahr. Also geht die Reise in einen stillgelegten Landgasthof. Dort gibt es ergreifende Gespräche: alle lernen viel über das Gegenüber. Wie sich langsam annähern, ist absolut sehenswert.

Es gibt dem Ermittlerduo viel zu erklären, und sie haben Fragen. Sagt man nun „er“ oder „sie“ zur Dragqueen – ach, die Begriffe wandeln sich so schnell, stöhnt Blohm. Und mithilfe von Rotwein gibt es am Ende eine wilde, ja alberne Party mit der Musik von den Village People und ihrem Hit „Y.M.C.A.“, just dem Song, der von Trump gekapert wurde – dabei ist das doch einer der queersten Hymnen überhaupt. Das hat alles Witz, Tiefe und Spannung zugleich. Das Drehbuch schrieb Günter Schütter, Regie führte Dror Zahavi.

Und weil sich der Mordfall um Immobiliengeschäfte und Baulandspekulationen dreht, mithin um Gentrifizierung in München – von der am Ende vielleicht auch der Rainbow-Club betroffen sein wird –, ist das ein gesellschaftskritischer Krimi und besser als viele „Tatorte“.

Wie gelungen die Darstellung der Dragqueens ist? Da lassen wir Dragqueen Peekabou, so toll von Meik van Severen gespielt, antworten. Neben seiner Schauspielerei macht er/sie seit vielen Jahren Dragshows: „Ich finde, wir können sehr stolz darauf sein, eine glaubhafte queere Repräsentation innerhalb des ‚Polizeiruf‘-Universums geschaffen zu haben.“

München-„Polizeiruf 110“: „Ein feiner Tag für den Bananenfisch“, So., 20.15 Uhr, ARD

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