Andre Agassis Autobiografie: Der Messias, der vom Tennissport kam
Die Passion des Andre Agassi und seine Erlösung von dem Bösen. Der Leistungssportler gibt Einblick in sein Leben.
Das Timing von Andre Agassi hätte nicht besser sein können. Auf dem deutschen Büchermarkt jedenfalls trifft er mit seiner Autobiografie den Nerv der Zeit. "Probleme, Schmerzen, Depressionen sind nichts Schlimmes: Wir teilen alle denselben Kampf - egal wie viel Geld wir haben", verkündete er kürzlich bei der Vorstellung seines Werkes in Berlin. Es ist das Thema dieses Sportjahres. Der Tod von Robert Enke und die Biografie von Sebastian Deisler ("Zurück ins Leben") haben den Blick dafür geschärft, dass es hinter der schönen Fassade des Leistungssports sehr düster aussehen kann.
"Open" hat Agassi, die einstige Nummer eins der Tenniswelt, seine Memoiren genannt, in denen er schildert, wie er von seinem Vater zum Tennisprofi herangezüchtet wurde. Als im Herbst die verkaufsfördernden Bestandteile seiner Lebensgeschichte vorab veröffentlicht wurden - es ging um den Konsum der Partydroge Chrystal Meth am Tiefpunkt seiner Karriere -, da waren die Größen des Tennissports, wie Boris Becker und Roger Federer, eifrig darum bemüht, die beschmutzte Fassade wieder reinzuwaschen. Sie geißelten Agassis späten Hang zur Transparenz als schädlich für den Tennissport.
Aber wer sich auf diese noch wenigen unbekannten harten Fakten des Buches fokussiert, dem ist einiges entgangen. Denn Agassi bietet interessante Einblicke, wie schädlich die unbarmherzigen Förderer des Leistungssports für die Seele eines Menschen sein können. Agassi erzählt, wie sein Vater ihn zum Sklaven seines Ehrgeizes machte und wie später der Tennis-Guru Nick Bollettieri diese Rolle übernahm: "Ich habe meine Kindheit in Isolationshaft und meine Jugend in einer Folterkammer verbracht." Sein Bekenntnis, dass er Tennis hasst, schon immer gehasst hat, ist der rote Faden, der sich durch seine Schilderungen zieht.
Warum er von dem Sport auch als Erwachsener nicht lassen konnte, erschließt sich aber nicht wirklich. Agassi betrachtet sich als Opfer, dem früh der eigene Wille genommen wurde. Agassi lässt den Leser in seinen Kopf schauen, wie er sagt. In aller Ausführlichkeit - das Werk umfasst knapp 600 Seiten. Warum? "Ich will den Menschen Inspiration geben, wie sie ihr schwieriges Leben meistern können." Ein wahrhaft messianischer Anspruch. Anders als bei Deisler geht es nicht um die Erzählung eines Gescheiterten. Es ist eine Heldengeschichte, wie die Verlagsleiterin der deutschen Ausgabe erklärt. Der Pulitzer-Preisträger J.R. Moehringer hat ihr den entsprechenden Schliff gegeben.
Die späte Wendung zum Guten, die Heirat mit der göttergleich beschriebenen Steffi Graf ("Einen Moment lang glaubte ich sogar, einen Heiligenschein über ihrem Kopf zu sehen") und Agassis spät gefundener Lebenssinn (benachteiligten Kindern zu helfen), das ist es, worauf die Geschichte die ganze Zeit hindrängt. Der auf das Happy End ausgerichtete Spannungsbogen lässt die schmerzlichen, aber interessanten Passagen in den Hintergrund treten. Am Ende bleibt die etwas schale Erkenntnis, dass man auch unter den misslichsten Umständen Erfolg haben kann. Viele lieben solche Geschichten. Die Peiniger von Agassi und anderen Leistungssportlern würden gewiss nichts anderes behaupten.
Andre Agassi: "Open - Das Selbstporträt". Droemer Knaur, 589 Seiten, 22,95 Euro
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