piwik no script img

Anders LernenDie Reform ist tot, es lebe die Reform

Auch wenn die Bildungsreform in der Hansestadt gekippt wurde, wird es bundesweit neue Schulmodelle geben. Die Schulverbesserer setzen auf Initiativen vor Ort.

Klaus Wenzel: "Es ging in Hamburg viel um Pfründe, Privilegien und Polemik - aber kaum um Pädagogik." Bild: dpa

Finger weg von den Schulformen! Schluss mit den Reformen! Das sind die Reaktionen, nachdem sich die schwarz-grünen Bildungsreformer in Hamburg die Finger an der 6-jährigen Grundschule ordentlich verbrannt haben. Über 276.000 Bürger sagten Nein zur Primarschule. Die Bewegung für gute Schule in ganz Deutschland hat ihr Leitmotiv eingebüßt: Der Begriff "längeres gemeinsames Lernen" ist praktisch nicht mehr verwendbar.

Das merkte man am Triumphgeheul der Gegner. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, sonst Wächter über die Nichteinmischung in Länderangelegenheiten, bejubelte "die Klatsche für die Einheitsschule". Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sah in Hamburg ein gutes Zeichen - fürs Gymnasium. Sie alle sehen in dem Plebiszit einen historischen Moment, wie es einst die Niederlage der Koop-Schule in Nordrhein-Westfalen war. Damals, 1978, setzte ein Volksbegehren dem Plan zur Einrichtung gesamtschulähnlicher Gebilde ein Ende.

Eine ähnliche Bremswirkung wie vor 32 Jahren erhoffen sich die Gegner nun von ihrem Sieg in Hamburg. Mittels Plebisziten wollen sie alle Pläne für eine verlängerte Schule stoppen. In Saarbrücken sind unter Schwarz-Grün-Gelb fünf Jahre Grundschule vorgesehen, in Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen neue Gemeinschaftsschulen sechs Jahre lang alle Kinder gemeinsam unterrichten können.

Allerdings mahnte der mächtige Philologenchef Heinz-Peter Meidinger zu Gelassenheit. Zunächst gehe es nur um intensiven Austausch mit dem Aktionsbündnis Schule in NRW und einem ähnlichen Club im Saarland. "Das Selbstbewusstsein ist natürlich gestiegen", sagte Deutschlands oberster Studienrat der taz, "Volksentscheide wären aber der letzte Schritt."

Bei den Schulverbesserern herrschte indes trotzige Gefasstheit. "Das Ergebnis von Hamburg kann man nicht vom Tisch wischen", sagte der Schulentwickler Ernst Rösner der taz. "Aber es ändert nichts an der Problemlage im Land." Es gebe durch die Volksabstimmung an der Elbe keinen einzigen Risikoschüler weniger im Land, so Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund. Er hat das Konzept der Gemeinschaftsschule erfunden, die alle Kinder von der ersten bis zur 13. Klasse im Wesentlichen gemeinsam lernen lässt.

Ganz ähnlich denkt Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband. "Es ging in Hamburg viel um Pfründe, Privilegien und Polemik - aber kaum um Pädagogik", sagte Wenzel der taz. "Nur was passiert eigentlich, wenn alles bleibt, wie es ist?" Wenzel spricht für 55.000 Lehrer in Bayern. Er sieht "die Schere zwischen den Schulerfolgen von Arm und Reich im Stadtstaat genau wie im Rest der Republik weiter auseinandergehen: Das Thema Gerechtigkeit bleibt auch nach der Abstimmung auf der Tagesordnung."

Die Anhänger eines längeren gemeinsamen Lernens haben längst die Strategie gewechselt. Während die Gegner noch vor ideologischer Zwangsbeglückung und Einheitsschule von oben warnen, fragt etwa Ulrike Köllner: "Was soll das eigentlich sein? Mir ist es doch egal, ob am Ende ein paar Gymnasien mit fünften Klassen übrig bleiben", so die Vorsitzende der Gymnasialeltern Bayern der taz. "Aber ich möchte, dass auch bayerische Eltern die Möglichkeit haben, eine integrative Schule für ihre Kinder zu wählen. Daher setzen wir alles daran, Gemeinschaftsschulen dort zu entwickeln, wo das meiste Engagement dafür besteht: bei den Eltern vor Ort."

Der Bayerische LehrerInnenverband (BLLV) nennt das regionale Schulentwicklung. Ein ausgefeiltes Konzept dafür liegt schon seit 2007 vor. Aber richtig Brisanz hat es erst gewonnen, seit die Staatsregierung sowohl die Gymnasien (mit der Verkürzung auf acht Jahre) als auch die Hauptschulen (mit Filetierungen in immer neue praktische Zweige) an die Wand gefahren hat. Nach dem BLLV soll sich jeder Landkreis mit Schulträgern, Eltern und Wirtschaft überlegen, welche Schule er möchte - inzwischen gibt es rund 100 Bürgermeister, inklusive CSU-Leuten, die lieber heute als morgen ihre Schule so retten wollen. Aber: Die Staatsregierung mauert und lässt bislang nur 13 modellhafte Kooperationen zwischen Haupt- und Realschulen zu - wobei sich die Kinder aus den verschiedenen Schultypen allerdings nur in Musik, Sport und auf dem Pausenhof sehen dürfen.

Der Witz an der Schulentwicklung von unten ist, dass sie eigentlich längst im Gange ist. Und dass alle Beteiligten, die sich auf der Hauptbühne gegenseitig die Köpfe einschlagen, vor Ort friedlich zusammenarbeiten.

Was der BLLV in Bayern vorschlägt, hat das Land Schleswig-Holstein in etwa vorexerziert. Dort gibt es ab kommendem Schuljahr mehr Gemeinschaftsschulen als Gymnasien - alle lokal vom Schulträger gegründet. NRW geht den gleichen Weg: "Die Landesregierung will gemeinsames Lernen im regionalen Konsens gestalten. Die Akzeptanz ist dann groß, wenn vor Ort Kollegien, Eltern, Schülerinnen und Schüler und Kommunen eingebunden sind", sagte die neue Schulministerin, die grüne Sylvia Löhrmann.

Selbst Bildungsministerin Schavan ist auf der gleichen Spur. Während sie am Montag forderte, dass nicht jedes Land sein eigenes Schulkonzept verfolgen dürfe, tut sie genau das mit Millionenaufwand - in ausgewählten Modellkommunen. In ihrem Programm "Lernen vor Ort" sollen sich lokale Akteure vor Ort zusammentun, um Bildungsarmut zu verhindern. Die Schulreform von oben ist tot - es lebe die Schulreform von unten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • A
    Alex

    Laut den offziellen Ergebnissen hatte WWL in allen Bezirken die Mehrheit, auch bei den "Gucci"-Eltern in Altona, Harburg und Bergedorf - bekanntlich die ärmsten Stadteile.

     

    Jetzt kann die Stadtteilschule zeigen, was sie drauf hat. Und vielleicht kann man dann in 10-15 Jahren die Gymnasien abschaffen. Denn erst wenn die Politik zeigt, dass "Kevin", "Cem" und "Aishe" den "Maximilian" und die "Anna-Sophia" nicht bremsen sondern wie in Finnland gefördert werden, erst dann kann man so einem Experiment zustimmen.

  • FB
    felix b

    Das kalte Grausen überläuft Einen angesichts dieser sich abspielenden Katastrophe, die Deutschlands Schullandschaft wieder um 20 Jahre zurückwirft. Aber mit dem Finger postkolonial pädagogisch sich den Stammtischbildungsbürgertumsbart streichend auf zB das indische Kastenwesen werfen - es ist unerträglich!

    Diese Gesellschaft ist, was Integration und Gleichstellung angeht auf dem Niveau eines Dritte-Welt-Landes. Beim PISA-Ranking wird nicht auf die Inhalte geschaut, sondern die Platzierung! Hauptsache wir sind Weltmeister!

    Die Millionen von Forschungsgeldern, die seit den 70ern in die Erforschung des GU (Gemeinsamer Unterricht) geflossen sind und natürlich nur das widerspiegeln konnten, was PISA auch ergeben hat, nämlich dass der GU ALLEN Kindern und Heranwachsenden zum Vorteil gereicht - alles verpufft und für die Katz. Man kann sich nur noch schämen für ein Land, das so mit seinem Nachwuchs umgeht. Denn am Ende dreht sich alles ausschließlich ums Geld! Wer noch glaubt, dass die Bildungminister der Länder eine Debatte um Inhalte führen, läuft komplett in die Irre. Verkleinerte Klassen, erhöhter Lehrerschlüssel, sonderpädagogische Kompetenzen verlagern in den Regelschulbereich, bessere materielle Ausstattung, barrierefreie schulische Infrastrukturen etc etc etc. Das Alles kostet viel Geld, welches auch durchaus vorhanden wäre, allein der politische Wille ist gelähmt und die Schafe trotten dem um den Hals gehängten Salzstein brav hinterher... Es ist zum Verzweifeln! Und dies alles geschieht vor dem Hintergrund der Verpflichtung durch die UNO-Behindertenrechtskonvention, in welcher sich Deutschland zur Inklusion (wieder so ein Bürokratenwort!) bekennt und diese flächendeckend einzuführen sich verpflichtet hat! Ein Trauerspiel - und noch lange nicht der letzte Akt dieses barbarischen Schauspiels, steht jedenfalls zu befürchten...

  • MM
    Marco Moreno

    für alle die anders sind hat es in diesem land schon immer Mauern gegeben und so lange das hakenkreuz im hirn nachwirkt, bleibt alles wie gehabt.

  • TG
    Thomas Grimberg

    Empfehle Modell: Zur Kontaktaufnahme:http://www.freieschulelindau.de/

  • R
    Robert

    Immer geht es in den Artikeln hier und in vielen weiteren Medien nur um angebliche Pfründe, die irgendwer sich sichern will, sei es die ominöse "Elite", das "Bildungsbürgertum" oder gar die böse Gruppe der Gymnasiallehrer, die ihr Gymnasium behalten und nicht die Schmuddelkinder unterrichten wollen. Ab und zu wird dann noch Kritik am Reformwahn der Politiker laut, die sich in ihren Ideologien verfangen haben und nur wild um sich keilen, aber keine wirkliche Idee zur Verbesserung des Lernens in der heutigen und zukünftigen Zeit haben.

     

    Jede Wahl bringt neue Ideen, die dann krampfhaft umgesetzt werden, um fünf Jahre später wieder verändert zu werden. Es fehlt jede Kontinuität, die Schüler leiden, die Eltern leiden und die Lehrer müssen die Blödsinn verkaufen.

     

    Was die Politiker nicht sehen: Man kann nicht bei der Bildung sparen oder die Ausgaben auf dem gleichen Niveau halten, gleichzeitig aber bessere Schüler und Lehrer in dieser völlig veränderten Welt haben wollen. Jeder meint, sein Konzept sei das Beste und v.a., es gäbe nur diesen einen Weg. Dass uns andere Länder mit einer einheitlichen Linie, unglaublichem finanziellen Aufwand für eine ordentliche Lehrerausbildung (und entsprechendem Ansehen für die Lehrer) und kleinen, hervorragend ausgestatteten Klassen längst den Rang abgelaufen haben, wird nicht gesehen. Es lebe der Föderalismus und die Arroganz der Bildungspolitiker, die an denen, die ausgebildet werden bzw. ausbilden, kein Interesse haben.

  • F
    Fred

    Oh, nee. Bitte, hört endlich auf mit dem dämlich-ideologischen Streit nach dem Motto: "Wir sind die Besseren" gegen "Wir sind die Gerechteren". Ich gehe in NRW zur SChule und sehne mich nach nichts mehr als Ruhe. Bitte, keine Reformen mehr. Einfach mal ein paar Jahre wieder normal lernen und sich nicht mit den Lehrern streiten müssen, die nicht mehr ihr Fach unterrichten, sondern uns permanent überzeugen warum das oder jenes besser ist. Sorry. Es geht um uns Schüler. Und die haben von dem albernen Gezänk die Schnauze voll. Das gilt auch für die Medien. Alle reden über uns - auch ihr. Aber niemand mit uns. Aber ihr wisst ja alle, was besser ist für mich, gell? Wie anmaßend!

  • S
    Schmuddelkind

    "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern,

    sing nicht ihre Lieder" (Franz-Josef Degenhardt)

     

    Das dürfte die eigentliche Motivation sein, die die Gegner der Hamburger Schulreform antrieb. Das Studium der Zeilen Degenhardts ist nach wie vor erhellend:

     

    http://www.franz-josef-degenhardt.de/disco/titel/lieder/spielnichtmitdenschmuddelkindern.html

     

    Mehr Bildung für sozial benachteiligte Kinder? Aber immer, gerne, jederzeit - aber bitte lassen Sie mich und mein Kind damit in Frieden.

     

    Jedem das Seine und mir das Meine!

     

    In diesem Land gibt es zusehends Mauern, sichtbare wie unsichtbare.

     

    Gated Communities, in dem sich Wohlhabende ihr eigenes, kleines Reichengetto einrichten.

     

    Problemviertel, deren Bewohnern ein Stigma anhaftet.

     

    Bildungsmauern, die durch das dreigliedrige Schulsystem zementiert werden und die es einzureißen gilt.

     

    Im Interesse aller, da die Industrienation Deutschland es sich in Ermangelung von Rohstoffreichtum bekanntermaßen schlichtweg nicht leisten kann, seine Talente verkümmern zu lassen.

     

    Im Pisa-Siegerland Finnland gehen Kinder im Übrigen 9 Jahre gemeinsam zur Schule, in Norwegen sind es sogar 10 Jahre, die die Kinder gemeinsam verbringen.

     

    Davon profitieren Schwache wie Starke.

     

    Es ist erwiesen, dass leistungsstarke Schüler dazu lernen, wenn sie schwächeren Schülern helfen - mithin eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

     

    Es gereicht dem Hamburger Bürgermeister Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust zur Ehre, dass er sich für die Schulreform stark gemacht hat. Das ist Führungsstärke, wie man sie sich von Politikern wünscht. Der Mann hat Rückgrat bewiesen und sich nicht einer pupolistischen, kleinkarierten Kampagne gebeugt, die ganz unverhohlen von zutiefst egoistischen Interessen geleitet ist.

     

    Dafür gebührt ihm Respekt!

     

    Ein weiterführender Link zum Thema:

     

    http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=14224&key=standard_podcasting_derTag&mediakey=podcast/derTag/derTag_20100715&type=a

     

    (Hörenswerter Radiopodcast hr2DerTag vom 15.7.2010, "Klassenkampf in der Schule. Das Bürgertum macht mobil")

     

    lesenswert zum Thema:

     

    http://www.freitag.de/politik/1028-der-kampf-der-herkunftseliten

     

    sehenswert zum Thema:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=2jAI0hzDZuc

  • EB
    E. Baier

    Gemeinsames lernen klingt eigentlich gut, aber:

    Bessere SchülerInnen als Minipädagogen einzuplanen, geht garnicht.

    "Gucci-Eltern" schicken ihre kids längst auf Privatinternate, wo - Bildung hin oder her - die richtigen Netzwerke geknüpft werden.

    Und last but not least: Die Gesellschaft lebt von Schulabbrechern, Glücksspielern, Models und Bauernschlauen. Wenig Motivation für gemeinsames lernen...meint E. Baier

  • K
    Kuni

    "Schulverbesserer". Bisher haben dies die sogenannten reformen im Bildungssektor in keinster Weise beweisen können. Im gegenteil, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluß steigt, das Nieveau der Absoventen sinkt und sogar Studenten haben massive Schwächen in Mathe und Deutsch. Wo ist da der Erfolg?