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Anarchie im Roten Rathaus

■ Mehr als hundert Besetzer der Mainzer Straße okkupierten fünf Stunden lang das Amtszimmer von Oberbürgermeister Schwierzina im Roten Rathaus/ Kurz vor der polizeilichen Räumung wurde ein Kompromiß ausgehandelt

Mitte. Mit Applaus und Gejohle ging gestern abend eine fünfstündige Besetzung des Büros des Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina zu Ende: Die mehr 100 Ex-Besetzer der Mainzer Straße, die das Allerheiligste im Roten Rathaus mit Kaffee, Negerküssen und einem Hund in Beschlag genommen hatten, um den Oberbürgermeister zu einer Diskussion über die Räumung der Mainzerstraße zu zwingen, hatten sich zum freiwilligen Abzug bereiterklärt, nachdem mit dem Stadtverordneten vom Bündnis 90, Tietze, ein Kompromiß ausgehandelt worden war: Montag um 15 Uhr soll im grünen Saal des Roten Rathauses ein »öffentlichen runder Tisch« mit den Besetzern der Mainzer Straße stattfinden, an dem außerdem Innenstadtrat Krüger, Baustadtrat Thurmann sowie Stadtverordnete, Anwohner und Unterstützer der Mainzer Straße teilnehmen werden. Tino Schwierzina selbst hatte sich während der Besetzung nicht blicken lassen. Ob er am Montag am runden Tisch teilnehmen wird, wie gefordert, ist unwahrscheinlich.

Das Büro das Oberbürgermeister war um 14.30 Uhrbesetzt worden. Ein riesiges Transparent am Balkon des Roten Rathauses, — »sofortige Rückgabe der geräumten Häuser in der Mainzer Straße« — kündete schon von weither sichbar, daß drinnen etwas Ungewöhliches vorging. Im breiten Amtsessel des Hausherrn, der nach Angaben seines Sprechers Hoßbach mit einem ausländischen Gast in der Stadt unterwegs war, tummelten sich eine junge Frau mit Schiebermütze, während ein junger Mann mit großen Interesse den Inhalt der Schreibtischschublade begutachtete. Unterdessen ruhten sich andere mit hochgelegten Füßen auf dem Konferenztisch aus. Zwei Männer probierten die technischen Einrichtungen aus, indem sie SPD-Wahlkampfbroschüren durch den Reißwolf schickten. Die übrigen kauerten auf dem weichen Teppichboden, mapften Negerküsse und Weißbrotscheiben.

Die Forderung: Ein Gespräch mit Tino Schwierzina, indem dieser »öffentlich« Stellung zu seinen »Lügen« nehmen solle. Die größte Lüge ist nach Auffassung der Besetzer Schwierzinas Behauptung, die Besetzer der Mainzer Straße seien nicht verhandlungsbereit gewesen. Eine ebenso große: Sie hätten die Räumung der Mainzer Straße provoziert.

Innenstadtrat Krüger und der Baustadtrat Thrumann boten sich den Besetezern als Gesprächspartner an, wurden von diesen jedoch nicht akzeptiert. Die Begründung: Krüger und Thurmann hätten mehrfach deutlich zu verstehen gegeben, daß sie nicht zu sagen hätten. Krüger und Thurmann saßen zwei Stunden allein im den riesigen Fraktionssaal der SPD, wo sie sich mit den Besetzern unterhalten wollten. Nach einer Pressekonferenz der Besetzer gelang es Tietze vom Bündnis 90 schließlich doch noch, zwischen den Stadträten und den Besetzern zu vermitteln, zu einem Zeitpunkt, als die Polizei schon zur Räumung vor der Tür stand. Die Besetzer räumten noch auf und zogen ab. Jetzt ist der Oberbürgermeister am Zug. plu

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