Analyse: Ankara legt die Lunte
■ Bruderkrieg zwischen Kurden im Nordirak nach türkischem Abzug
Die türkische Armee zieht aus dem Nordirak ab, doch der Krieg geht weiter. Einmal mehr kämpfen Kurden gegen Kurden. Zwar hatten die Anhänger der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter Massud Barzani zunächst an der Seite der Türken gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gekämpft. Aber jetzt ist aus dem türkisch-kurdischen Bündnis ein Krieg gegen die Anhänger von Dschalal Talabanis Patriotischer Union Kurdistans (PUK) geworden. Und die Türken brüsten sich wieder einmal damit, daß die „Operation Morgendämmerung“ die erfolgreichste Militäraktion seit Jahren gewesen sei.
Im November 1992 hatten die Türken den Tod von mehr als 1.000 PKK-Kämpfern bejubelt, die bei Luftangriffen im Nordirak ums Leben gekommen seien. Staatspräsident Süleyman Demirel kündigte seinerzeit an, das türkische Militär setze seine Aktionen fort, bis das Gebiet als sicher angesehen werden könne. Und tatsächlich marschierten türkische Soldaten seither immer wieder in die UN-Schutzzone ein und töteten angeblich Tausende PKK-Kämpfer. Folgt man den türkischen Zahlenspielen, so dürfte es weit und breit keinen einzigen PKKler mehr geben. Den letzten in der Region hätte man 1995 sehen können, als der türkische Verteidigungsminister Turhan Tayan erklärte, die PKK werde nie mehr in ihre Lager zurückkehren können. Nie mehr. Tat sie aber.
Was will Ankara tatsächlich in der Region? Bereits seit 1925 sind die Türken sauer. Damals schlug der Völkerbund die ölreiche Provinz Mosul dem heutigen Irak zu. Zwar erkannte Ankara die Regelung 1926 widerstrebend an, trotzdem meldeten türkische Politiker immer wieder Anspruch darauf an. Erst vor gut zwei Jahren hatte Demirel geäußert, die Region gehöre in Wirklichkeit zur Türkei. Und der 1993 verstorbene Ministerpräsident Turgut Özal habe während des Golfkrieges sogar erwogen, den Norden des Irak zu annektieren, hieß es in den Memoiren des früheren Generalstabschefs Necip Torumtay. Immer wieder kamen Gerüchte auf, nach denen in Ankara diskutiert werde, eine Verteidigungslinie bis in die nordirakische Ebene vorzuschieben. Dieses Gebiet um die Städte Zakho und Dohuk besteht traditionell aus Barzani-Anhängern, die jüngst an der Seite der Türken gegen die PKK vorgingen.
Im weitaus größeren Süden Irakisch-Kurdistans dominieren die Anhänger von Dschalal Talabani. Dort lagern etwa 60 Prozent der irakischen Ölvorkommen. Erst im vergangenen Jahr hatten die beiden seit 1994 wegen Handels- und Machtfragen verfeindeten Kurdenparteien unter Vermittlung der USA einen Waffenstillstand geschlossen.
Diesmal kämpfte Barzani an der Seite der Türken. Von der erneuten Destabilisierung der Region profitieren zumindest zwei Parteien: Ankara – und Saddam Hussein, auf dessen Reaktion man wohl gespannt sein darf. Verloren haben indes – wieder einmal – die Kurden. Die Vereinten Nationen befürchten bereits einen neuen Flüchtlingsstrom in Richtung Iran. Kai Horstmeier
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