Analyse: Konsens unvorstellbar
■ Rußland will die Überwachung der irakischen Waffen abschwächen
Der Genfer Scheinkonsens vom letzten Donnerstag ist noch schneller zerbrochen, als selbst Skeptiker erwartet hatten. Der Streit um die Paläste Saddam Husseins hat den Dissens zwischen den fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats wieder offengelegt. Dabei ist das Problem keineswegs neu, sondern wurde bislang nur verdrängt.
„Ich habe keinen Palast. Das Haus jedes Irakers ist auch mein Haus.“ Derartige Sprüche unter einem Bild Saddam Husseins am Kochherd einer irakischen Familie verbreitete Bagdad im Winter 90/91. Damals rechnete der Diktator mit einer Bombardierung seines Domizils durch die US-Amerikaner. Seit nach Ende des Golfkriegs im April 1991 die ersten Rüstungsinspekteure der UNO-Sonderkommission (Unscom) ins Land kamen, hatte Saddam Hussein plötzlich nicht nur einen, sondern zahlreiche „Paläste“. Inzwischen tragen 43 zum Teil riesige Gebäudekomplexe, darunter einige mit weitläufigen Freianlagen, offiziell diese Bezeichnung; weitere 35 wurden von den irakischen Behörden als „Symbole nationaler Souveränität“ eingestuft.
Die insgesamt 78 Einrichtungen sowie den Luftraum über den meisten von ihnen hat Bagdad zur absoluten Verbotszone für die Unscom erklärt – ein klarer Verstoß gegen die auch vom Irak unterzeichnete Resolution 687 des UNO-Sicherheitsrats vom April 1991. Darin verpflichtet sich der Irak zu uneingeschränkten Offenlegung und Vernichtung seiner Massenvernichtungsmittel. Eine jetzt von Bagdad behauptete Vereinbarung, in der die Unscom angebich auf die Inspektion präsidialer Einrichtungen verzichtet, existiert nicht. Bei 63 der 78 Einrichtungen wurde UNO-Inspekteuren in den letzten sechseinhalb Jahren mit Waffengewalt und durch Drohungen der Zugang oder auch nur der Überflug verwehrt.
Trotz massiver Behinderungen der UNO-Inspekteure hat Rußland jetzt im Sicherheitsrat den Übergang von regelmäßigen Vor-Ort-Inspektionen durch UNO-Experten zu einem auf „langfristige Beobachtung“ angelegten, überwiegend mit technischen Mitteln betriebenen Kontrollsystem beantragt. Im Klartext läuft das auf eine erhebliche Schwächung der Überwachung Iraks hinaus. Ein Konsens über diesen Antrag im Sicherheitsrat ist unvorstellbar. Mehr Chancen hätte Rußlands Vorschlag, der Sicherheitsrat solle auf die Erfüllung bestimmter Auflagen durch den Irak (z. B. bezüglich des Atomwaffenprogramms) mit einer etappenweisen Aufhebung der Sanktionen reagieren. Ein solches Verfahren läßt Resolution 687 durchaus zu. Die Zustimmung der USA und anderer Staaten im Sicherheitsrat wäre allerdings nur denkbar, wenn nicht gleichzeitig das Überwachungssystem geschwächt wird. Andreas Zumach, Genf
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