Analyse: Regent mit Aufpassern
■ Die Schlüsselressorts in Marokkos neuer Regierung bleiben königstreu
Nach 38 Tagen Koalitionsverhandlungen war es soweit. Der Chef der marokkanischen Sozialisten, Abderrahman Jussufi, ließ am Wochenende von König Hassan II. die 30 Minister seiner Regierung absegnen. Neben 13 Vertretern der Union der Sozialistischen Volkskräfte (USFP), die bei den Parlamentswahlen am 14. November als stärkste Kraft hervorging, ist die älteste marokkanische Partei, die Istiklal (PI), mit sechs Mann mit von der Partie. Ebenso viele Ämter fallen der Zentrumspartei Nationale Vereinigung der Unabhängigen (RNI) zu. Die zweite Zentrumskraft, die Nationale Volksbewegung, und die kommunistische Partei für Fortschritt und Sozialismus (PPS) wurden jeweils mit drei Ministerien bedacht. Die beiden Sozialdemokratischen Gruppierungen, Front der Demokratischen Kräfte (FFD) und Partei des Demokratischen Sozialismus (PSD) müssen sich mit zwei bzw. einem Sitz zufrieden geben. Erstmals wird Marokko damit von der Opposition regiert, ein Wechsel, den Hassan II. 1996 mit einer Verfassungsänderung eingeleitet hat.
Doch ganz alleine wollte der Monarch die Opposition nicht regieren lassen. Jussufi mußte sechs Aufpasser akzeptieren. Die Schlüsselministerien, Innenpolitik, Außenpolitik, Justiz, Verteidigung und Religion sowie das Generalsekretariat der Regierung, werden weiterhin von den alten Königsgetreuen besetzt. Herausragende Persönlichkeit: die rechte Hand des Monarchen, Innenminister Driss Basri. Noch 1993 scheiterte der Versuch, mit Hilfe von Sozialisten und Istiklal eine Regierung zu bilden, am Wunsch des Monarchen, Driss Basri auf seinem Posten zu halten. Kein Oppositionspolitiker wollte zusammen mit dem Mann regieren, der für Inhaftierungen und Folter von Oppositionellen verantwortlich zeichnet. Jussufi ging aus Protest ins Exil nach Paris. Jetzt hat er das Erbe der monarchistischen Despotie akzeptiert.
Die Anwesenheit der sechs starken Männer des Königs im neuen Kabinett verdeutlicht: Mehr als eine Regierung der Opposition steht Jussufi einer Regierung der nationalen Einheit vor. Der von Hassan II. ausgerufene Demokratisierungsprozeß soll das Land auf eine Zukunft ohne den alten, kranken Monarchen vorbereiten. Jussufi erwartet der schwierige Wechsel zu einer modernen Monarchie unter Thronfolger Sidi Muhammad. Dazu gilt es, die Sünden der Vergangenheit aufzuarbeiten. Außenpolitisch erwartet die neue Regierung das UN-Referendum über die Unabhängigkeit der 1976 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. Auf wirtschaftlicher Ebene fällt Jussufi die schwere Aufgabe zu, Privatisierung und Anpassung an den Weltmarkt zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Wer könnte dabei die Proteste der Gewerkschaften besser im Zaum halten als ein Sozialist? Reiner Wandler
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