Analyse: Eiertanz in Schwerin
■ Mecklenburg-Vorpommern hat ab heute keinen Stasi-Beauftragten mehr
Mecklenburg-Vorpommern hat ab heute keinen Stasi- Beauftragten mehr. Obwohl schon lange bekannt war, daß die fünfjährige Amtszeit des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen mit dem 15. Juni endet, konnte oder besser: wollte sich die CDU/SPD-Koalition in Schwerin nicht über die weitere Besetzung des Postens einigen. Statt dessen hat die Große Koalition einen ihrer mittlerweile üblichen Eiertänze aufgeführt. Die SPD wollte nicht den Kandidaten der Christdemokraten haben, weil er ihnen angeblich zu CDU- nah ist; die CDU wiederum lehnte den Kandidaten der SPD ab, weil sie hinter dem ganzen Spiel sowieso die PDS vermutet. Nichts Neues also in Schwerin.
Der bisherige Stasi-Beauftragte Peter Sense, ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, war 1993 von Ministerpräsident Bernd Seite (CDU) vorgeschlagen worden. Der parteilose Sense hat seine Arbeit ohne große öffentliche Resonanz erledigt. Er hat mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern Stasi- Opfer und Stasi-Täter beraten, Seminare veranstaltet und die Forschung zur Geschichte der Staatssicherheit vorangetrieben. Noch vor wenigen Wochen wollte der dafür zuständige Justizminister Rolf Eggert (SPD) den engangierten und manchmal unbequemen Sense für eine weitere Amtsperiode vorschlagen. Doch der Minister wurde vom starken Mann der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Fraktionschef Harald Ringstorff, zurückgepfiffen. Der Stasi-Beauftragte habe „keine überzeugende Arbeit geleistet“, so Ringstorff.
Diese dünne Begründung hörte sich hinter verschlossenen Türen anders an: Die SPD wolle Sense wegen seiner Nähe zu Ministerpräsident Seite, dem Intimfeind Ringstorffs, nicht länger haben. Außerdem soll Sense zu sehr für ein DDR-Unrechtsdokumentationszentrum in Schwerin gekämpft haben. Die SPD hingehen favorisiert zwei Standorte – die Landeshauptstadt Schwerin und Rostock. Also präsentierten die Sozialdemokraten einen eigenen Kandidaten für das Amt: den früheren DDR-Bürgerrechtler Heiko Lietz. Die CDU jedoch hält an Sense fest. Sie bescheinigt ihm „hervorragende Arbeit“. Der SPD werfen die Christdemokraten vor, sie wolle aus reinem Machtkalkül die Insitution des Stasi-Beauftragten ganz abschaffen und so einer SPD/PDS-Koalition nach der Landtagswahl im September den Weg bereiten. Die PDS hält einen Stasi-Beauftragten „neun Jahre nach der Wende“ für überflüssig.
Bis zur Landtagswahl wird das Amt nur kommissarisch geführt. Peter Sense zog unterdessen seine eigene Bilanz. Für seine Arbeit würde sich keine Partei ernsthaft interessieren. „Wir erleben eine politische Kultur des Vergessens“, so der ehemalige Stasi-Beauftragte, „und meine Arbeit bewirkt nun mal das Gegenteil.“ Jens König
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