Analyse: Ost-Timor-Kosmetik
■ Indonesiens Regierung bleibt trotz Entspannungsgesten in der Sache hart
Am vierten Tag in Folge ist es gestern im von Indonesien 1976 annektierten Ost-Timor zu Demonstrationen für die Selbstbestimmung der Inselhälfte gekommen. Erneut wurde ein Osttimorese von indonesischen Militärs erschossen. Ausgelöst wurden die Proteste durch den bis heute dauernden Besuch einer dreiköpfigen Botschafterdelegation der Europäischen Union. Hatte sich in den letzten Jahren die ehemalige Kolonialmacht Portugal fast allein für die Interessen der Osttimoresen eingesetzt, so ist die vom britischen Außenminister Robin Cook initiierte EU-Delegation ein Fortschritt, der Bewegung in den festgefahrenen Konflikt bringen könnte.
Die jüngsten Demonstrationen für die Selbstbestimmung Ost-Timors verliefen weitgehend friedlich. Manches deutet darauf hin, daß Indonesiens Militär und von Jakarta organisierte proindonesische Demonstranten die Ausschreitungen provoziert haben und für die Toten verantwortlich sind. Zumindest spielt die Gewalt in Jakartas Hände. Denn Indonesiens Regierung versucht damit gegenüber der EU den Eindruck zu erwecken, nur Jakartas Militär könne für Ordnung in Ost-Timor sorgen. Aus dem gleichen Grund lehnt Jakarta auch eine Abstimmung der Osttimoresen über den künftigen Status der Inselhälfte ab. Ein Referendum würde die Bevölkerung spalten, so Indonesiens Außenminister Ali Alatas. Dabei ist es ein Fakt, daß nicht alle Menschen in Ost-Timor einer Meinung sind. Doch Jakarta will Diskussionen der Osttimoresen über ihren Status verhindern und seine Herrschaft als Garant der Stabilität darstellen.
Indonesiens neue Regierung ist nach Suhartos Sturz um Anerkennung bemüht. Mit dem Angebot eines Sonderstatus für Ost-Timor und einer Freilassung des Führers der Unabhängigkeitsbewegung, Xanana Gusmao, zeigt Jakarta Flexibilität und versucht den internationalen Druck zu mindern. Doch das Entgegenkommen ist reine Kosmetik. Denn Indonesiens Regierung bleibt in der Sache hart, solange sie sich einer Volksabstimmung in Ost-Timor verweigert. Das Insistieren Jakartas auf seiner fortgesetzten Herrschaft über Ost- Timor erklärt diese zum Bestandteil einer Lösung des Konfliktes, statt sie als Teil des Problems anzuerkennen.
Dabei ist die Frage, ob ein selbständiges Ost-Timor Sinn macht, durchaus berechtigt. Doch diese Frage sollten die Osttimoresen beantworten. Eine Anerkennung der von Jakarta geschaffenen Fakten wäre nicht nur ein Verstoß gegen völkerrechtliche Grundprinzipien, sondern auch Verrat an einer Autonomielösung. Diese setzt gegenseitiges Vertrauen voraus, was Indonesien bisher gründlich verspielt hat, und eine Entscheidung aus freien Stücken, der sich Jakarta nach wie vor verweigert. Sven Hansen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen