Analyse: Ein wenig Autonomie
■ Ein tragfähiges Friedenskonzept für den Kosovo ist noch längst nicht in Sicht
Alle wissen, es kommt schon bald zur „teilweisen Autonomie“ im Kosovo. Das suggerieren westliche Balkanemissäre, serbische Spitzenpolitiker und albanische Rebellenführer. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus: Auf allen Seiten herrscht viel Wunschdenken vor und wenig realistische Einschätzung. Denn Fakt ist bislang nur, daß es nach Monaten abstrakter Gehirnarbeit unter den selbsternannten Ordnungsstiftern „Lösungskonzepte“ wie Pilze nach dem Regen im Wald gibt. Alle Konzepte sollen nur „vorübergehend“ gelten, bis eine „Dauerlösung“ gefunden ist.
Wie in den unzähligen unterzeichneten und wieder gebrochenen Bosnien-Friedensabkommen zwischen 1992 und 1995 – erst dann kam die Befriedung von Dayton – soll auch für den Kosovo die Regelung gelten, daß die Albaner einen „Teil“ des Kosovo selbst „verwalten“ dürfen, mit eigenem Parlament, eigener Verwaltung, eigener Polizei. In Bosnien heißt das heute Kroatisch-Bosniakische Föderation. Der andere Teil des Kosovo soll „serbisches Land“ werden, ähnlich der Republika Srbska in Bosnien. Wie, wann und ob überhaupt diese zwei Teile zu einem neuen staatsähnlichen Gebilde verschmelzen werden, darüber zerbrechen sich die Architekten der Kosovo-Konzepte noch nicht den Kopf.
Weit problematischer ist jedoch der Umstand, daß unter Serben und Albanern keinerlei Konsens darüber besteht, wie groß die einzelnen Gebiete des Kosovo für die jeweilige Volksgruppe ausfallen sollen. Das Belgrader Regime will den Albanern keine zusammenhängenden Landstriche überlassen, sondern nur einige „Enklaven“. Auf dieses Spiel können sich die Albaner nicht einlassen. Die Menschen haben noch das Massaker von Srebrenica vor Augen, jenes schreckliche Blutbad vom Juni 1995, als serbische Killerbanden die Muslim-Enklave im Osten Bosniens überrannten.
Keine vorübergehenden Kompromisse, sondern nur Dauerlösungen, sagen die albanischen Politiker und verlangen von UNO und Nato die Zusage, ihre Heimat als „internationales Protektorat“ so lange zu verwalten, bis die Serben einer Unabhängigkeit des Kosovo zustimmen werden. Die albanische Verhandlungsposition erinnert fatal an das Verhalten der bosnischen Muslime zu Beginn des jugoslawischen Erbfolgekrieges: Da UNO und Nato ihre Zusage, unterzeichnete Friedensabkommen mit allen Mitteln umzusetzen, nicht hielten und die serbischen Unterschriften nie das Papier wert waren, auf das sie gepinselt wurden, ging das Morden von Abkommen zu Abkommen weiter. Bis Dayton dauerte es noch Jahre. Wird sich im Kosovo das vielbeschworene „zweite Bosnien“ wiederholen? Noch gibt es keinen Anlaß zur Hoffnung, daß sich in dieser Krisenregion künftige Pinselstriche dauerhaft in Papier pressen lassen. Karl Gersuny
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