piwik no script img

AnalyseStreit auf Sprachinsel

■ Und auch ansonsten bleibt die Zukunft der neuen Schreibe spannend

Ach du liebes bisschen/bißchen! Wie sollen denn die SchülerInnen im hohen Norden jetzt richtig schreiben? Mit deutlicher Mehrheit haben die BürgerInnen Schleswig-Holsteins am Sonntag gegen die Rechtschreibreform gestimmt. 76 Prozent haben ihre Stimme abgegeben. Von denen hat wiederum über die Hälfte (56 Prozent) Neuschreib abgelehnt – und damit ihrem Nein Gesetzeskraft verliehen. Eine klare Sache. Wenn jedes Plebiszit solche Mehrheiten bekäme, ließe sich getrost von Volksdiktatur sprechen.

Die 300.000 Schleswig-Holsteiner Schulkinder sind damit InsulanerInnen geworden. Um sie herum wird in allen anderen Bundesländern die Schifffahrt mit drei f gelehrt, und es werden viel weniger Kommata gesetzt. Aber zwischen Kiel und Lübeck dürfen keine Kängurus herumspringen, sondern nur Känguruhs. Der Streit zwischen den Gegnern der neuen Orthografie (zuvörderst ihr Sprecher Matthias Dräger) und ihren Befürwortern (qua Amt Bildungsministerin Gisela Böhrk, SPD) ist mit dem Votum des Volkes freilich nicht entschieden. Böhrk hat einen Erlaß herausgegeben, wonach auch der Erlass, so im Diktat geschrieben, einem Pennäler nicht als Fehler angestrichen würde. Dieser ministerielle Erlaß, die alte Schreibweise zu lehren, die neue aber nicht zu bestrafen, hat den eifernden Sprachkonservativen Dräger sogleich auf die Palme gebracht. Böhrk trickse die BürgerInnen erneut aus und müsse daher sofort zurücktreten.

Das wird Frau Böhrk nicht tun. Sie argumentiert vielmehr, den Schleswig-HolsteinerInnen dürfe kein Nachteil daraus entstehen, so zu schreiben wie etwa im Nachbarstaat Hamburg. Die SchülerInnen Corinna, Kai und Mirek denken wie ihre Ministerin: Wie sollten sie sich in der Hansestadt um einen Job bewerben, wenn sie (dort) falsch schreiben?

Gisela Böhrk sieht auch die KultusministerInnen an ihrer Seite. Die Rechtschreibreform werde mit Ausnahme der Pennen im hohen Norden in allen Schulen Deutschlands gelehrt, gaben die zu Protokoll. Die Vorsitzende der KultusministerInnen, Gabriele Behler, meinte, bis zum Ende der Übergangsfrist im Jahr 2005 werde sich auch in Schleswig- Holstein „einiges beruhigt haben“. Mit anderen Worten: In einigen Jahren schreiben so viele Menschen neu, daß den schleswig-holsteinischen Reformgegnern ihre eigene Plebiszitbegründung zum Nachteil wird. Als „allgemein üblich“ gilt laut Dräger & Co. „die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist“. Andererseits sitzen auch in Bayern, Berlin, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen noch Reformgegner. Sie aber wollen die Deutschen in ihren Ländern zunächst nicht zum Kollektiv-Nein aufrufen – weil „der Reform stellvertretend für alle Deutschsprachigen eine demokratische Absage erteilt wurde“. Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen