Analyse: Die Warteschleife
■ Nur scheinbare Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt
Ende September waren laut Bundesanstalt für Arbeit noch 23.300 Lehrstellen zu besetzen, aber 35.900 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Damit ist die Zahl der unversorgten Jugendlichen gegenüber 1997 um 24 Prozent gesunken. Bei insgesamt gestiegener Bewerberzahl und leichtem Lehrstellen- Rückgang dieses Jahr also weniger unvermittelte Bewerber. Ein schöner Erfolg – leider nur auf den ersten Blick.
Die Statistik würde ganz anders aussehen, hätte nicht die Bundesanstalt für Arbeit rund 100.000 Jugendliche „vom Markt genommen“, wie es auf gut amtsdeutsch heißt. 20.800 kamen in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen unter, das sind 69 Prozent mehr als im Vorjahr. 22.000 begannen eine außerbetriebliche Berufsausbildung, 60.000 unterziehen sich derzeit unterschiedlichsten Rehabilitationsmaßnahmen. Sie alle sind geparkt – bis zum nächsten Jahr.
Dann treffen sie aber auf eine nochmals angestiegene Zahl von Neubewerbern. Der demographische Hoffnungsschimmer zeichnet sich in den neuen Ländern erst 2003, in den alten gar 2007 ab. Erst dann fallen die Zahlen der Schulabgänger deutlich. Bis dahin verschärft sich von Jahr zu Jahr das Problem, die Warteschleifen vergrößern sich zusehends.
Woran liegt's? An den Jugendlichen, meinen die Arbeitgeberverbände. Die Statistik besagt das Gegenteil. Überraschend schnell verabschieden sich die Jugendlichen von ihrem Traumberuf und nehmen, was da ist. Sie sind überaus mobil, allein 14.000 pendeln von Ost nach West, und sie sind qualifiziert. Die Zahl der Bewerber ohne Hauptschulabschluß hat deutlich abgenommen. Mittlerweile besitzen 59,3 Prozent der unversorgten Jugendlichen mindestens einen mittleren Schulabschluß.
Liegt's an den Arbeitsämtern? Die Zahl der unversorgten Bewerber ist von 15,2 Prozent im Jahr 1992 auf derzeit 3,8 Prozent gesunken. Mehr wird kaum machbar sein, auch wenn die Bundesanstalt nun die Lehrstellensuche via Internet forciert.
Bleibt die Angebotsseite. In diesem Jahr konnte die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze nur dank klinkenputzender Ministerpräsidenten und Lehrstellenbörsen von Zeitungen halbwegs auf dem Vorjahresstand gehalten werden – in den alten Ländern. In den neuen dagegen schrumpft das Angebot seit 1992 kontinuierlich. Es bleibt spannend, wie die künftige rot-grüne Regierung ihr Versprechen, 100.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen, einlösen wird. Eines ist klar: Das von der Kohl-Regierung verfochtene Prinzip der Freiwilligkeit hat auch in diesem Jahr nicht funktioniert. Denn obwohl in den neuen Ländern mittlerweile 70 Prozent der Ausbildungsplätze subventioniert sind, ging die Bereitschaft, Jugendliche auszubilden, rapide zurück. Bernd Siegler
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