Analyse: Steuern für Arbeit
■ Sinkende Abgaben sollen Stellen schaffen, doch die Konjunktur lahmt
Eine Million Arbeitslose weniger – eine große Zahl, die noch vor wenigen Monaten als billiger Wahlkampf abgetan worden wäre. Die Schätzung wurde jedoch nicht vor der Wahl von einer Partei abgegeben, sondern gestern vom Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Hans Peter Stihl. Derzeit liegt die offizielle Zahl der Erwerbslosen knapp unter vier Millionen, im Jahresschnitt 1998 bei 4,3 Millionen. Stihl sieht die eine Million Menschen weniger auf den Listen der Bundesanstalt für Arbeit gar schon bis zum Jahr 2002 – wenn, ja wenn die Bundesregierung bei der Steuerreform einsichtig ist. Ähnlich äußerten sich über Weihnachten andere Arbeitgeberverbände.
Steuern für Arbeit Sinkende Abgaben sollen Stellen schaffen, doch die Konjunktur lahmt
Der DIHT-Präsident und die anderen Spitzenvertreter der Industrie fordern Unternehmenssteuern von 35 Prozent, alle Gewinnsteuern und Gemeindehebesätze inclusive. Derzeit können es schon mal über 60 Prozent sein. Dabei sind sich die Bosse auf dem Papier einig mit der Bundesregierung: Die hat die 35 Prozent im Zuge der Steuerreform sogar in ihrem Koalitionsvertrag stehen. Doch will Finanzminister Lafontaine einige Steuerschlupflöcher schon ab dem Jahr 2000 stopfen, niedrigere Unternehmenssteuern jedoch erst ab dem Jahr 2002 gewähren. Ab Januar laufen die Verhandlungen in den Kommissionen des Finanzministeriums. Deshalb das Locken der Industrie mit mehr Arbeitsplätzen gerade jetzt. Denn eine Million Arbeitslose weniger kann es laut Stihl nur geben, wenn schon ab 2000 die 35 Prozent gelten.
Dabei wird die Zahl der Arbeitslosen noch durch andere Faktoren beeinflußt als durch die Steuer. Die Bundesanstalt für Arbeit schätzt, daß durch „demographische Einflüsse“ – mehr Alte gehen in Rente, als Junge sich nach Arbeit umsehen – allein im nächsten Jahr 230.000 potentielle Arbeitslose aus der Statistik verschwinden. Außerdem wandern wohl 74.000 mehr Menschen aus Deutschland aus als ein.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat auch Prognosen parat, wie die Zahl der Arbeitsplätze von der Konjunktur abhängt. Derzeit arbeiten etwa 35,5 Millionen Menschen in Deutschland. Bei einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent wird sich diese Zahl um 0,1 Prozent verringern. Steigt das Bruttoinlandsprodukt um 2,5 Prozent, bleiben die Stellen erhalten.
Mit höheren Wachstumsraten braucht die Nürnberger Bundesanstalt gar nicht zu rechnen, meinen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. In einer Umfrage des Hamburger Abendblatts von gestern schätzten sie das Wachstum für 1999 auf etwa 2,0 Prozent. Vor allem die sich „dramatisch abschwächenden Exporte“ würden den Optimismus dämpfen. Die Zahl der Arbeitslosen würde im Jahresschnitt trotzdem auf 4,1 Millionen sinken – wegen der Demographie. Reiner Metzger
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