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AnalyseTerror im Kaukasus

■ Moskau verschleppt eine Lösung und riskiert damit einen neuen Krieg

Tschetscheniens Präsident Aslan Maskhadow ist am Sonntag nur knapp einem Attentat entkommen. Erst am Freitag waren in der Kaukasusrepublik Nordossetien über sechzig Menschen einem Bombenanschlag auf einen belebten Markt in Wladikawkas zum Opfer gefallen. Dem war noch am Donnerstag eine Großdemonstration in der zwischen Tschetschenien und Nordossetien gelegenen Republik Inguschetien vorausgegangen: Die Inguschen, mit ihrer Geduld am Ende, forderten Moskau auf, die territorialen Zwistigkeiten mit den Osseten – Spätfolgen der stalinschen Zwangsumsiedlungen – aus dem Weg zu räumen.

Zufall? Die Frage ist müßig. Denn feststeht: zweieinhalb Jahre nach dem Friedensabkommen zwischen Moskau und Grosny hat sich die Lage im Nordkaukasus weiter verschlechtert. Die Lösung des Kaukasus- und der vielen kleinen kaukasischen Probleme hat der Kreml verschleppt. Moskaus Nationalitätenminister Ramasan Abdullatipow räumt offen ein, die Zeit sei nicht genutzt worden, um die Beziehungen zu regeln. Nicht Moskaus leere Kassen seien der entscheidende Grund, es fehle der politische Wille, zu einer Einigung zu gelangen. Überdies mangelt es der politischen Elite an Verständnis für die kleinen Völker. Geht der Nordkaukasus in Flammen auf und damit ein weiteres konstitutives Moment des Selbstverständnisses der russischen Großmacht verloren, trifft Moskau ganz allein die Schuld.

Offenkundig geht es den Attentätern von Grosny und Wladiwostok darum, den Nordkaukasus in ein Kriegsgebiet zu verwandeln. Entstünde neben dem Krisenherd Tschetschenien dort noch ein Kriegsschauplatz, wäre Rußland kaum in der Lage, dem Konflikt Einhalt zu gebieten. Über kurz oder lang würden sich Teile des Kaukasus von Moskau lossagen. Der Anschlag auf Maskhadow verfolgt diese Logik.

In der nächsten Woche will sich der tschetschenische Präsident mit dem russischen Premier Jewgeni Primakow treffen. Um den Rückhalt in der Bevölkerung nicht ganz zu verlieren, braucht Maskhadow finanzielle Unterstützung aus Moskau. Den ehemaligen Feldkommandeuren, die dem Präsidenten vorwerfen, gegenüber dem Kreml zu nachgiebig aufzutreten und innenpolitisch die Verankerung des Islam als Staatsideologie nicht konsequent zu betreiben, läuft die Kontaktaufnahme zuwider. Sollte Hilfe gewährt werden, schwände ihr Einfluß. In einem neuen Kaukasuskrieg profitierten nur kriminelle Kräfte. Außer ihnen gäbe es keinen Sieger, auch wenn die tschetschenische Unabhängigkeit damit besiegelt wäre. Bereits jetzt verlangt die russische Bevölkerung im Süden die administrative in eine Staatsgrenze zum Nachbarn zu verwandeln. Leidtragend wäre die Zivilbevölkerung im ganzen Kaukasus. Klaus-Helge Donath

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