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■ An die Arbeit! (6) Die neue Medienindustrie ist ein Modell für die Zukunft. Es geht zu wie einer WG. Und es herrscht SelbstausbeutungArbeit in den Zeiten des Konsumismus

Viel ist in den letzten Jahren darüber gesprochen worden, daß die Arbeit verschwindet. In der Diskussion über Umverteilung, Neuerfindung oder gar Abschaffung von Arbeit hat man jedoch den Veränderungen der Arbeitsbedingungen relativ wenig kritische Beachtung geschenkt. Immer geht es darum, was zu tun ist, wenn man gerade keinen Job hat – nur selten jedoch darum, was zu tun ist, wenn man – wie immer noch die meisten Leute – einen hat.

Dabei wird die Arbeitsorganisation derzeit neu geordnet. Eine Avantgarderolle spielt dabei die Medien- und Unterhaltungsindustrie. Und die dort Beschäftigten unterstützen diese Veränderungen sogar oft.

Die Avantgarderolle des Medien- und Unterhaltungssektors geht auf die sechziger Jahre zurück, als sich die heutige Krise der Arbeit zum ersten Mal deutlich äußerte. Der Fokus richtete sich in dieser Zeit vor allem auf die informelle Bindung an die Arbeit. In der Industrie sah man in der offenkundigen Schwäche dieser Bindung einen Grund für die sinkende Profitabilität und strebte daher nach Verbesserungen in der Arbeitsorganisation.

Zur gleichen Zeit wandten sich in der Gesellschaft die weitgehend mittelständisch geprägten neuen sozialen Bewegungen gegen die Langeweile einer durchdisziplinierten und total verwalteten Welt. Ein einziger Job für das gesamte Leben, in dem man zudem wenig mehr sein durfte als ein bloßes Rädchen im Getriebe, erschien nicht länger erstrebenswert. Arbeit sollte nicht nur Sicherheit bieten, sondern auch Selbstverwirklichung, Spaß, Mobilität und Vielseitigkeit. Gegen Gleichheit und Unterordnung verlangten daher beide Seiten, wenn auch aus verschiedenen Motiven, nach mehr Freiheit und Verantwortung.

Das wahrscheinlich aussagekräftigste Beispiel für das Zusammentreffen beiderseitiger Begehrlichkeiten war die Popkultur, die von Anfang an gleichzeitig sowohl ein Feld industrieller Innovation als auch eines gesellschaftlicher Befreiungspotentiale war. Durch die zunehmende Dominanz des Konsumismus rückte die Unterhaltungsbranche mit ihren Produktionsbedingungen, Verbreitungskanälen und Verbrauchspatterns von den Rändern ins Zentrum. Heute ist nicht mehr die Stahlfabrik das Modell der Gesellschaft, sondern das global vernetzte Medienunternehmen. Und da dieses Unternehmen schon immer am Schnittpunkt der Wünsche von Industrie und „Alternativität“ stand, verwundert es nicht, daß sich dieses Unternehmen immer wieder besonders von Differenz und Dissidenz nährt. So traf der Spiegel kürzlich unbewußt ins Schwarze, als er den für dieses Verhältnis repräsentativen „Virgin“- Chef Richard Branson als „Hippie-Kapitalisten“ bezeichnete.

Die seltsame Vereinigung zwischen Effektivitätssteigerung und alternativen Werten ist in die Arbeitsbedingungen der Zukunftsbranchen eingegangen. In diesen Bereichen existiert eine intensive Identifikation der Beschäftigten mit der eigenen Tätigkeit, den zu verkaufenden Produkten und der jeweiligen Firma. Die Unternehmen haben diese Identifikation bewußt gefördert, indem sie unter anderem die Einheiten innerhalb des Unternehmens verkleinert und voneinander unabhängig machten. Dadurch konkurrieren die einzelnen Klitschen nun miteinander, und das Großunternehmen gibt sich beim Mitarbeiter den Anschein alternativ frickelnder Ohnmacht.

Im Sinne dieser Identifikation wirken aber auch die Ansprüche der Mitarbeiter selbst an ihre Jobs. Da jeder von seiner Arbeit Selbstverwirklichung und Spaß erwartet, haben sich diese Werte in einen Zwangsmaßstab für Erfolg verwandelt. Die Zeitschrift Wired veröffentlichte kürzlich einen Bericht über die kleine aufstrebende Computerfirma Cisco, in der die Mitarbeiter bis zu 80 Stunden in der Woche schufteten, sich aber auf Anfrage froh und zufrieden zeigten. So klingt mittlerweile in der Medienindustrie auch jede Aussprache über Probleme auf der Arbeit wie früher ein Beziehungstalk in der WG. Spaß ist heute eine Form von „Humankapital“ – sowohl für das Unternehmen als auch für den einzelnen.

Indem so im Grunde die Werte der früheren Freizeitsphäre in jene der Arbeit eindringen, bricht die traditionelle Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit zusammen. Bei einem Besuch im Haupthaus des Musiksenders Viva im Kölner Mediapark kann man diesen Zusammenbruch ästhetisch erleben. Schon die Eingangshalle befindet sich architektonisch genau am Übergang zwischen Fabrik und Loft. Auch die zukunftsweisende Sportfirma Nike zwingt ihre Mitarbeiter dazu, während der Arbeit Nike-Artikel – also Freizeitbekleidung – zu tragen. Im Bereich der Freizeit wiederum dominiert mittlerweile die Fit- und Wellness- Ideologie, die Freizeit weniger als Erholung, sondern vielmehr als Arbeit aufzufassen scheint. Man braucht nur einmal einen Blick in die sehr erfolgreichen Zeitschriften Men's Health oder Fit for Fun zu werfen: Das Ziel ist permanente Selbstoptimierung.

Nun werden solch hohe Anforderungen an die eigene Person nicht grundsätzlich auch großartig honoriert. Die Zukunftsbranchen zeichnen sich durch immense Gehaltsunterschiede und eine hohe Personalfluktuation aus. Dabei legitimiert oftmals die Aussicht auf viel Geld und die Freude, die man an seiner Arbeit hat oder haben muß, daß man sich eigentlich nur von einem schlechtbezahlten Praktikum zum anderen hangelt. So benötigt man Selbstoptimierung auch für den permanenten Konkurrenzkampf um rare Jobs.

Nichts garantiert dabei, daß man nicht sein ganzes Leben am Existenzminimum herumkrebsen wird. Das ist dann kaum noch erfreulich – ebensowenig wie die erzwungene Einführung solcher Arbeitsbedingungen in traditionelleren Branchen. Wo jahrzehntelang Disziplin und Sicherheitsdenken anerzogen wurden, versucht man heute von oben nach dem Vorbild der Zukunftsbranchen durch Verkleinerung, Gruppenarbeit „Vertrauensarbeitszeiten“ und die Beschwörung von Eigeninitiative mehr Verantwortung und damit auch Identifikation zu oktroyieren. Sicher möchte niemand zurück in die alte Welt der Disziplin, aber über der Feier der Chancen der neuen Arbeitsverhältnisse wird gern übersehen, daß ihre Einführung keineswegs durch ein großes humanitäres Reformprojekt motiviert ist, sondern durch den Wunsch nach unternehmerischer Effektivitätssteigerung. Es geht um Ausbeutung – auch wenn das heute kaum noch jemand sagt. Mark Terkessidis

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