An der Grenze zu Polen und Tschechien: "Hier ändert sich gar nichts"
Sonntag fallen die Grenzkontrollen nach Polen und Tschechien weg. Doch entlang der sächsischen Grenze finden schon jetzt keine Überprüfungen mehr statt. Ein Streifzug.
Um Mitternacht sollten die Grenzkontrollen mit insgesamt 9 Staaten wegfallen, womit der so genannte Schengen-Raum auf 24 Länder anwächst. Deutschland beendet die Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Freitagmorgen gemeinsam mit den Regierungschefs von Polen und Tschechien, Donald Tusk und Mirek Topolánek, sowie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Fall der Grenzkontrollen in einer Feierstunde begehen.
Wie er sich fühle an seinem vorletzten Arbeitstag? "Nicht anders als sonst. Ich war auch nicht jeden Tag hier eingesetzt", lacht der junge Bundespolizeibeamte am Grenzübergang Deutscheinsiedel im Erzgebirge. Sein Kontrollhäuschen wird ab heute verwaist dastehen. Dennoch werde es so weitergehen: Heute hier, morgen dort im Grenzgebiet zu Tschechien. Sein etwas älterer Kollege im idyllischen Elbtal bei Schöna ist skeptischer.
Eine interne Dienstanweisung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sorge für Unruhe, berichtet er. Die Hälfte der Kollegen soll an die französische Grenze abgezogen werden. "Ich weiß, in den Zeitungen steht etwas anderes." Wahrscheinlich würden Familien zerrissen.
An die auch künftig spürbare Präsenz der Bundespolizei knüpfen die Grenzanwohner auf deutscher Seite sehr stark ihr Sicherheitsgefühl. Es beruhigt kaum, dass Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) zugesichert hat, Landespolizeistellen im Grenzbereich nicht abzubauen. "Die hat man ohnehin kaum gesehen", hört man in Bad Schandau im Elbsandsteingebirge.
Den Wegfall der Grenzkontrollen sehen in Sachsen die Erzgebirgler am gelassensten. In der Heimat von Räuchermann, Schwibbogen und rasenden Englein im Kreisverkehr hat es nie eine nennenswerte Grenzkriminalität gegeben. "Naja, 2002 bei der Hochwasserverbauung sind drüben einmal ein paar Motorsägen geklaut worden", berichtet ein 65-jähriger Einwohner von Olbernhau, der am Grenzflüsschen Flöha wohnt. Für den Autoklau sei das Gebirge zu schwierig. Ob sich nun ein intensiverer Kontakt zu den Nachbarn ergebe? "Vielleicht bei den Jüngeren, aber die ziehen ja alle weg und der Arbeit hinterher." Unter den Älteren, konstatiert der Fast-Rentner, herrschten immer noch Ressentiments gegen die Tschechen wegen der Vertreibung der Sudetendeutschen. "Eigentlich beschämend, dass man nach all den Jahren kaum ein paar Brocken Tschechisch kann", fügt er nach kurzem Sinnieren selbstkritisch hinzu.
Für eine Bestellung in der unweit gelegenen tschechischen Gaststätte bei Deutsch-Katharinenberg braucht man nicht einmal die paar Brocken. Von der deutschen Ortsstraße kommend passiert man nach 20 Metern unkontrolliert die Grenze. Zwei versetzte Barrierebügel wie bei einer Straßenbahn-Passage, ein Grenzschild, mehr nicht. Keine 50 Meter bis zur Kneipe. "Hier ändert sich gar nichts", meint eine Anwohnerin. Das denken auch deutsche Besucher des Asia-Marktes in Mnisek auf dem Erzgebirgskamm. Eine auswechselbare Budenstadt mit dem Einheitsangebot an Klamotten und Flaschen und Gartenzwergen. Viele Deutsche kommen regelmäßig hierher und mussten "meistens gar keinen Ausweis mehr zeigen", wie einige berichten. Erwarten die Verkäufer ein besseres Geschäft? Schweigen oder Achselzucken bei den vietnamesischen Händlern, ein Anwohner der vielbefahrenen schmalen Elbuferstraße nach Hrensko sagt: "Die Preise steigen auch dort wie schon beim Benzin." Tank- und Markttourismus verlören so an Attraktivität.
Je weiter man nach Osten Richtung Lausitz kommt, desto mehr spielen die Erfahrungen mit Einbrüchen und besonders der Autoklau eine Rolle. Ein Sebnitzer macht dafür Banden und die vielen Sinti und Roma gegenüber im Schluckenauer Zipfel verantwortlich und befürchtet einen Anstieg dieser Kriminalität. Ihn ärgert, dass die kleinen Straßenübergänge aus der Vorkriegszeit nun wieder frei geräumt wurden, nachdem sie wegen des Autodiebstahls schon einmal mit Wällen und Nagelbrettern gesichert waren. Die Besitzerin eines Grenzgrundstückes widerspricht ihm: "Hier wird vieles auf die Tschechen geschoben, wo sich dann Deutsche als Täter herausstellen!"
Am bekanntesten ist die Bürgerinitiative Ebersbach geworden, die selbst auf Streife ging und mit dem Bundesgrenzschutz zusammenarbeitete. In der Parkstadt Bad Muskau an der Polnischen Grenze gab es sogar eine Bürgerwehr. "Das war in den wilden Neunzigern, aber die Lage hat sich beruhigt", sagt Bürgermeister Andreas Bänder. Etwas zu dieser Beruhigung beigetragen zu haben, hält sich auch Innenminister Buttolo zugute. Er hat in den vergangenen Wochen 13 Grenzorte besucht und Informationsmaterial verteilt.
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