Re: Ex-Bischof wird Präsident (taz internet, 18/08/2008)
Erfreulicherweise hat sich die taz-Berichterstattung über Lateinamerika/Karibik (fortan LAK) in der letzten Zeit stärker an die sozio-politische Realität in den betreffenden Ländern angenähert. Hugo Velarde’s Artikel über Evo Morales’ gewonnenes Referendum „Vom Halb- zum Vollmond“ zieht berechtigterweise die Aufmerksamkeit auf die historisch geschaffenen Strukturen der Unterdrückung, in denen Rassismus und Klassendiskriminierung untrennbar verquickt sind. Die zitierten Diffamierungen Evo Morales’ und der indigenen Bevölkerungsmehrheit lassen sich leider nicht auf Bolivien begrenzen, sondern zeichnen die nach wie vor mächtigen alt-kolonialen Eliten auf dem gesamten Kontinent aus. Wer sich beispielsweise in Venezuela’s private Medienunternehmen einschaltet wird innerhalb kurzer Zeit mit demselben Repertoire von z.B. „Affe“ (Präsident Chávez) und „ignoranten Horden“ (Chávez’ Wähler) konfrontiert.
Bezüglich Jürgen Vogt’s Artikel über die Amsteinführung Fernando Lugo’s lässt sich anmerken dass die vom Autor hergestellte Verbindung zwischen Venezuela’s Vollmitgliedschaft in MERCOSUR und den eben vertraglich vereinbarten Erdöllieferungen (suggeriert als Bestechung Chávez’) unangebracht ist, ebenso wie das in dem Zusammenhang unterstellte Eigeninteresse Chávez’. Einerseits hat die inzwischen zweijährige Blockierung von Venezuela’s Vollmitgliedschaft in MERCOSUR nie an den MERCOSUR-Präsidenten selbst gelegen: Venezuela genoß den uneingeschränkten Zuspruch aller PräsidentInnen, von Kirchner und Fernández (Argentinien), Vázquez (Uruguay), Lula (Brasilien) und Lugo’s Vorgänger Duarte. Die ausbleibende Ratifizierung von seiten der brasilianischen und paraguayischen Parlamente (Argentinien und Uruguay haben längst ratifiziert) liegt an den Machtkonstellationen in den jeweiligen Regierungen und Parlamenten, wo sich die historischen Eliten wohl ziemlich im Klaren sind dass Venezuela’s Vollmitgliedschaft in MERCOSUR eine Umdefinierung des neoliberalen Wirtschaftsblocks (schlechthin als „open regionalism“ bezeichnet) mit sich bringen wird, und dadurch ihre Vormachtstellung in Frage gestellt sehen. Dies ist übrigens ein öffentlich erklärtes Ziel der venezolanischen Regierung, welches bereits umgesetzt wird.
Andererseits ist das am letzten Samstag unterzeichnete Energievertragswerk nicht das erste welches zwischen Paraguay und Venezuela unterschrieben wurde: bereits am 18. November 2004 unterzeichneten die beiden Staaten ein Erdöllieferungsabkommen, damals unter dem „Caracas Energy Cooperation Agreement“, unter dem auch beinahe die gesamte Karibik und Zentralamerika, sowie südamerikanische Staaten wie Argentinien, mit Öl versorgt werden. Besagtes Abkommen ist inzwischen durch PETROCARIBE, PETROSUR und PETROANDINA (zusammengefasst unter PETROAMERICA) abgelöst worden. Im Jahr 2004 verpflichtete sich Venezuela täglich 18.600 Barrel an Paraguay zu liefern. Die Kooperation wurde am 17. April 2007 ausgebaut, während des 1. Südamerikanischen Energiegipfels, auf dem die entstehende „Gemeinschaft Südamerikanischer Nationen“ (Spanisch, CSN) umdefiniert wurde in UNASUR – die „Union Südamerikanischer Nationen“, welcher alle südamerikanischen Staaten außer Französisch Guayana angehören.
Und hierin liegt der Schlüssel: das primäre aussenpolitische Ziel der venezolanischen Regierung – d.h. der Bolivarischen Revolution – ist die Einigung LAK’s. Dies beinhaltet zum einen Simón Bolívar’s, José Martí’s, und Augusto César Sandino’s (etc.) anti-imperialistische Visionen, und ist zum anderen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Pragmatismus in Zeiten der Globalisierung, und hat nichts mit einem etwaigen, oftmals unterstellten Grössenwahnsinn Chávez’ zu tun. Regionalisierungsprozesse gehen einher mit den Globalisierungsprozessen, wie uns beispielsweise die Wiederbelebung und zugleich Umdefinierung der EG zu EU durch den Maastrichtvertrag 1992 zeigt. Im Gegensatz dazu allerdings – als Reaktion auf den wirtschaftlichen Genozid der letzten Jahrzehnte – mehren sich die Kräfte in LAK für eine nicht-neoliberale, wenn nicht gar anti-kapitalistische Union, welche zunehmend global aktiv ist, und die sich aus dem basisdemokratischen Widerstand der letzten 20-30 Jahre herausgebildet hat. In dem – gegebenermaßen langsamen – gegen-hegemonialen Prozess setzt Venezuela seine Energieresourcen strategisch ein, wie in den nationalen Entwicklungsplänen, aussenpolitischen Strategiepapieren, und fast allen bi-/multinationalen und (sub-)regionalen Energieabkommen nachgelesen werden kann.
Thomas Muhr
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