piwik no script img

Amtsarzt zu ausländerfreundlich

■ Suizid-gefährdete Rumänin soll trotz Attest abgeschoben werden / Amtsarzt laut Gerichtsurteil „zunehmend voreingenommen“ Von Silke Mertins

„Daß ein Richter so unverhohlen und namentlich über eine andere Amtsperson herzieht, habe ich nicht noch nicht erlebt.“ Rechtsanwalt Rolf-Eckard Puls mußte sich verwundert die Augen reiben, als er den Abschiebebescheid für seine Mandantin Marieta-Carmen C. in den Händen hielt.

Obwohl der Amtsarzt des Bezirksamtes Altona der 39jährigen Rumänin attestiert hatte, daß eine Abschiebung ins Heimatland zu „Kurzschlußhandlungen mit Eigen- und Fremdgefährdung“ führen könnte, soll sie mit ihrem 2jährigen Kind ab morgen ausgewiesen werden können. Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts, Helmut Gramm, begründete seinen Beschluß so: Es bestünde „zunehmend der Verdacht“, daß der Amtsarzt und Medizinaldirektor „Herr Dr. Bönstrup nicht gerade unvoreingenommen seine ärztlichen Stellungnahmen abgegeben hat.“

Der Nervenarzt hatte die psychisch labile 39jährige im März zum zweiten Mal untersucht und eine Verschlimmerung ihres Zustandes festgestellt. Das erste Attest hatte den gleichen Richter im Dezember 1994 noch dazu bewogen, die Abschiebung der abgelehnten Asylbewerberin um ein halbes Jahr aufzuschieben. Das zweite Gutachten war offenbar zuviel des politisch nicht Korrekten: Die Ausländerbehörde sei „gut beraten“, auf die „oberflächlichen, gutachterlichen Äußerungen“ des Medizinaldirektors Bönstrup zu verzichten, schreibt Richter Gramm.

„Da muß man sich wirklich an den Kopf fassen“, so Rechtsanwalt Puls einigermaßen verzweifelt. „Dr. Bönstrups Untersuchungsergebnisse sind doch keine Gefälligkeitsatteste eines selbstgewählten Arztes meiner Mandantin.“ Vielmehr sei Frau C. zum Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes Altona bestellt worden. Wegen der eigenwilligen Bewertungen liege die Vermutung nahe, Richter Gramm sei „wirklich sauer“ auf den Amtsarzt und seine zu ausländerfreundlichen Atteste.

Zudem erhebt Richter Helmut Gramm in seiner Verärgerung auch den belehrenden Zeigefinger: Der „psychische Zustand von ausländischen Staatsbürgern, die mit einer Abschiebemaßnahme konfrontiert sind“, sei in der Regel nun mal schlecht, klärt Amateur-Psychologe Gramm den studierten Nervenarzt Bönstrup auf. Gerade wegen dieses „beklagenswerten Zustandes“ seien Abschiebungen ja auch eine „besondere Belastung“ für die Mitarbeiter der Ausländerbehörde.

Außerdem wirft Gramms Urteilsbegründung der Anstragstellerin Marieta Carmen C. „Verzögerungstaktik“ vor. Sie habe erst nach ihrem Abschiebetermin – 1. Juli – einen erneuten Antrag gestellt. „Das war vielmehr Verzögerungstaktik der Ausländerbehörde“, empört sich Rechtsanwalt Puls. Erst auf seinen Druck und der Intervention des stellvertretenden Amtsleiters Niebuhr hin habe die Behörde überhaupt das amtsärztliche Gutachten herausgerückt. Daß man ihm das Attest erst am 23. Juni zugestellt habe, könne man seiner Mandantin nicht vorwerfen.

Trotzdem ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht mehr anfechtbar. Nur der Petitionsausschuß der Bürgerschaft kann die Frau und ihr Kind jetzt noch vor einer Abschiebung bewahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen