Amtliches Ergebnis in Hessen: Roland Koch droht die Abschiebung
Der CDU-Ministerpräsident kann in Hessen nur noch in einer Großen Koalition weiterregieren. Doch die ist unwahrschienlich. SPD-Chefin Ypsilanti will lieber eine Ampelkoalition.
BERLIN/WIESBADEN dpa/ap/taz Bei der Wahl in Hessen musste die CDU drastische Verluste von mehr als elf Prozentpunkten hinnehmen: Lediglich 36,8 Prozent der hessischen Wähler stimmten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis für die Partei von Ministerpräsident Roland Koch. Dessen Strategie, im Wahlkampf vor allem gegen "kriminelle Ausländer" ins Feld zu ziehen, wurde damit bestraft. Bei der Wahl vor fünf Jahren konnte seine Partei noch 48,3 Prozent der Stimmen für sich gewinnen.
Vorläufiges amtliches Endergebnis
(in Prozent, Wahl 2008 (2003) Diff.):
CDU 36,8 (48,8) -12,0
SPD 36,7 (29,1) + 7,6
Grüne 7,5 (10,1) - 2,6
FDP 9,4 ( 7,9) + 1,5
Die Linke 5,1 ( --) + 5,1
REP 1,0 ( 1,3) - 0,3
Freie Wähler 0,9 ( --) + 0,9
Beteiligung 64,3 (64,6) - 0,3
Nach Angaben von Meinungsforschern hat die CDU gerade bei den jüngeren Wählern an Zuspruch verloren. "Die CDU ist für ihre Art, Wahlkampf zu führen, abgestraft worden. Und das ist auch gut so", sagte Tarek Al-Wazir, Spitzenkandidat der hessischem Grünen.
Jubel gab es bei der SPD: Ihre Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hat weit besser abgeschnitten, als es selbst ihre eigenen Anhänger noch vor kurzem für möglich gehalten hätten. Im Duell rechts gegen links, Frau gegen Mann hat sich Ypsilanti - vor kurzem noch ein wenig bekannte Landespolitikerin - überraschend gut durchgesetzt. 36,7 Prozent der Wähler gaben ihr die Stimme. Damit liegt die SPD nur ein Promille hinter der CDU. Das ist trotzdem bitter - denn bis zur letzten Hochrechnung war der SPD sogar ein Vorsprung vor der Union prognostiziert worden.
Gegenüber der Wahl vor fünf Jahren konnte die SPD ihr Ergebnis damit klar verbessern: Damals hatten die Sozialdemokraten knapp acht Prozentpunkte weniger Stimmen erhalten.
"Wir haben für eine andere politische Kultur in diesem Land gekämpft, und wir haben gewonnen", sagte Ypsilanti am Sonntagabend in Wiesbaden. "Die Sozialdemokratie ist wieder da."
Ypsilanti hatte im Wahlkampf stark auf die Themen Mindestlohn, Bildung und Energiepolitik gesetzt. Sie will die von Koch eingeführten Gebühren von 500 Euro pro Semester, die Hessens Studierende bezahlen müssen, wieder abschaffen. Auch will sie mehr Lehrer einstellen. Und sie will die Energieversorgung auf Erneuerbare Energien umstellen.
Glücklich auch die Linke: Ihr gelang mit 5,1 Prozent knapp der Einzug in den Hessischen Landtag - ein beachtlicher Erfolg angesichts des sehr stark links ausgerichteten Wahlkampfes der hessischen SPD. Damit gelingt ihr zum ersten Mal der Einzug in das Parlament eines westdeutschen Flächenlands - ein Ergebnis, das als Signal auch für die künftige Verankerung der Linkspartei im Westen gewertet wird. Zumal die Linke auch in Niedersachsen in den Landtag einziehen konnte.
Die FDP liegt mit 9,4 Prozent deutlich vor den Grünen, die 7,5 Prozent der Stimmen erhielten - zwei Prozentpunkte weniger als 2003.
Noch offen allerdings blieb am Wahlabend, welche Koalition künftig in Hessen regieren könnte. Durch den Einzug der Linkspartei reicht es weder für Rot-Grün noch für ein schwarz-gelbes Bündnis. Einen Zusammenschluss mit der Linkspartei aber hatte Ypsilanti stets energisch ausgeschlossen. Sie setze "bis zum Schluss auf eine rot-grüne Mehrheit", beteuerte sie am Wahlabend. Die FDP hatte Spekulationen über eine mögliche Ampelkoalition eine Absage erteilt.
Rein rechnerisch problemlos möglich wäre eine große Koalition aus SPD und Union. Psychologisch aber unwahrscheinlich: Nicht nur weil Ypsilanti das am Wahlabend noch ausschloss, sondern auch, weil dann Koch weiterregieren könnte - und die sich als Wahlsieger fühlende SPD nur der kleinere Partner wäre.
Die Sozialdemokraten können in Hessen den bisher größten Stimmenzuwachs in diesem Bundesland verbuchen. Noch nie zuvor hat die hessische SPD ein Plus von rund 8 Prozentpunkten erreicht. Allerdings war ihr Ergebnis 2003 für hessische Verhältnisse verheerend schlecht. Ihr bestes Ergebnis hingegen erzielte die SPD bei den Wahlen 1966. Damals kamen die Sozialdemokraten auf 51 Prozent der Stimmen.
Für die CDU bedeutet der Ausgang der Landtagswahl nach Einschätzung des schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionschefs Wolfgang Kubicki eine Katastrophe: "Für die CDU ist das der Super-GAU. Das zeigt, dass diese Form der Polarisierung von den Menschen nicht gewollt wird". Das Debakel ist nach Auffassung des Berliner Politikwissenschaftlers Paul Nolte von Koch selbst verschuldet. Dies sei die "dramatischste und eindrucksvollste Selbstzerlegung eines amtierenden Ministerpräsidenten, die wir jemals in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt haben", sagte er am Wahlabend. Die Schlappe habe zum großen Teil an Kochs umstrittener Kampagne gegen junge ausländische Kriminelle gelegen. "Damit war er für Teile des liberalen, weltoffenen Bürgertums in den Großstädten schlicht nicht wählbar."
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