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DIE GRÜNEN MÜSSEN AUF EINEN WEITEREN GRÜNDUNGSMYTHOS VERZICHTENAmt und Mandat werden vereint

Seit mehr als einem halben Jahr steht bei den Grünen die Entscheidung an: Amt oder Mandat oder Amt und Mandat. Im Februar ergatterte die Parteivorsitzende Claudia Roth auch die grüne Spitzenkandidatur in Bayern; im April erkämpfte sich ihr Amtskollege Fritz Kuhn in Baden-Württemberg den ersten Männerplatz auf der Landesliste. Was wird aus der Tandemführung der Grünen? Bisher verlangt das Parteistatut, dass sich Jobs im Parlament und in der Partei ausschließen.

Das Geschehen ist simpel zu prognostizieren: Der nächste grüne Parteitag im Oktober wird sich von einem weiteren Gründungsmythos verabschieden. Die Kumulation von Macht wird dann offiziell erlaubt, die Jungabgeordneten Roth und Kuhn bleiben Parteivorsitzende. Schon weil es personell keine Alternative gibt. Kompetente ErsatzkandidatInnen sind nicht in Sicht – jedenfalls keine ohne Mandat. Diese Personalnot ist weder neu, noch war sie bisher folgenlos: Die Hamburger Grünen haben die Trennung von Amt und Mandat bereits aufgegeben – und am Sonntag mit 16,2 Prozent das beste Landesergebnis für die Grünen eingefahren. Offensichtlich trägt eine rechtspopulistische Konkurrenz namens Schill sehr viel mehr zum grünen Profil bei als uralte Statutprinzipien.

Trotzdem, die altbekannte Klage wird auch diesmal intoniert, dass sich die Grünen selbst verraten. Der Vorwurf ist absurd. Er offenbart einen Glauben an den gedruckten Buchstaben, der an die „Partei Bibeltreuer Christen“ erinnert. Denn egal, was das Parteistatut so vorschreibt: Die Grünen sind weitgehend eine One-Man-Show names Joschka. Und zwar seit Jahrzehnten. Der Unterschied ist nur, dass sie neuerdings damit Werbung machen – außerordentlich erfolgreich. Wähler verlangen Personalisierung, wollen keine Zersplitterung der Macht. Ironischerweise hat ausgerechnet der Parteilinke Ströbele dies klar erkannt. In seinem siegreichen Kampf um das erste grüne Direktmandat setzte er komplett auf die eigene Berühmtheit. Da war der Fundi ganz Realo.

Allerdings: Die Grünen sind noch nicht ganz so pragmatisch wie die CDU. Der Parteitag wird wohl nicht beschließen, dass Parteisprecher auch Fraktionsvorsitzende werden dürfen. ULRIKE HERRMANN

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