piwik no script img

Amoklauf in chinesischem KindergartenEntwicklung der Psyche vernachlässigt

Beim fünften Amoklauf in chinesischen Kindergärten sterben sieben Kinder und zwei Erwachsene. Die Fälle könnten Zeichen für die mangelnde Behandlung psychischer Erkrankungen sein.

Seit den Amokläufen wird in chinesischen Kindergärten und Grundschulen sehr auf Sicherheit geachtet. Bild: ap

BERLIN taz | Am Mittwochmorgen ist ein mit einem traditionellen Messer bewaffneter Mann in einen privaten Kindergarten in einem nordchinesischen Dorf in der Provinz Shaanxi eingedrungen und hat sieben Kinder, den Leiter und dessen Mutter zu Tode gehackt. Weitere elf Kinder wurden laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua verletzt, die sich auf lokale Behörden berief. Anschließend nahm sich der 48-jährige Mann in seinem Haus das Leben. Die Motive für die Tat blieben zunächst unklar.

Es war bereits der fünfte Amoklauf in einem Kindergarten in China mit Messern oder Hämmern in den letzten acht Wochen. Bisher starben dabei 17 Menschen, Dutzende wurden verletzt. Die Behörden hatten landesweit einen verstärkten Schutz und bessere Überwachung der Kindergärten angeordnet und riefen auch jetzt wieder zu verstärkter Wachsamkeit auf. Alle Amokläufe wurden von Männern mittleren Alters verübt und dürften teilweise auch Nachahmungstaten gewesen sein.

Am 23. März erstach ein 42-Jähriger acht Grundschüler in der Küstenprovinz Fujian. Er gab Liebeskummer als Motiv an und wurde am 28. April hingerichtet. An diesem Tag wurden 16 Kinder und ihr Lehrer in einer Grundschule in der südlichen Provinz Guangdong verletzt. Am Tag drauf wurden in einem Kindergarten in der östlichen Provinz Jiangsu 29 Kinder und drei Erwachsene von einem Angreifer mit einem Messer verletzt. Drei Tage später griff ein Mann in einem Kindergarten in der östlichen Provinz Shandong mit einem Hammer an. Er verletzte fünf Kinder und eine Erzieherin, übergoss sich und zwei Kinder auf seinen Armen mit Benzin und zündete sich an. Der Mann starb dabei.

Die Amokläufe werden in der Volksrepublik als Zeichen für den psychologischen Stress gewertet, den der rapide gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Wandel auf die Bevölkerung ausübt. Auch könnten die Fälle signalisieren, dass es zu wenig Behandlungsmöglichkeiten für psychische Probleme gibt. Jetzt seien zwar schärfere Sicherheitsvorkehrungen nötig, doch lösten sie das Grundproblem in der von Grund auf gewandelten Gesellschaft nicht, sagte der Kriminalpsychologe Ma Ai von der chinesischen Universität von Politikwissenschaft und Recht in Peking der Nachrichtenagentur afp. "Wir haben uns auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentriert, jedoch die Entwicklung und Verbesserung der Psyche vernachlässigt." Die jüngsten Fälle seien daher eine Warnung.

Laut einer im vergangenen Jahr in der britischen Medizinzeitschrift The Lancet veröffentlichten Untersuchung über vier chinesische Provinzen wurden dort nur fünf Prozent der Menschen mit psychischen Problemen behandelt. The Lancet schätzt die Zahl unterschiedlich psychisch Erkrankter in China auf mehr als 173 Millionen. Doch nur neun Prozent davon könnten medizinisch betreut werden. Psychochologie ist in China eine junge Wissenschaft, da zur Mao-Zeit psychologische Probleme aus Auswüchse des Kapitalismus gegeißelt wurden.

Von drei der fünf Amokläufer soll bekannt gewesen sein, dass sie psychische Probleme hatten. Angriffe auf kleine Kinder, die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, garantieren den Tätern hohe Aufmerksamkeit und eine hohe Opferzahl. Anders als in den USA, wo Schusswaffen leicht zugänglich sind und bei Schulmassakern sogar bereits automatische Waffen zum Einsatz kamen, hat China strikte Waffengesetze. Diese erschweren den Zugang zu Schusswaffen. Deshalb greifen die Täter zu Hackmessern, die zur Grundausstattung chinesischer Küchen gehören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

10 Kommentare

 / 
  • MW
    Michael Winter

    Amokläufe sind stets eine Reaktion auf eine als unerträglich empfundene persönliche oder gesellschaftliche Situation. Da sie in der Regel von langer Hand vorbereitet sind, kann die Beschaffung geeigneter Tatmittel zwar behindert aber nie verhindert werden. Waffenrechtliche Bestimmungen etwa greifen hier prinzipiell zu kurz und verhindern keine Taten. Das gelingt nur, wenn man die Ursachen beseitigt. Hier sind Gesellschaft und Politik in der Pflicht!

  • AB
    Anette Betina Roming

    Wenn ich das schon lese, Psychisch Probleme nicht behandelt ! Wer hat noch nie darüber nachgedacht, seinen Chef, seine Frau / Mann, Frau Merkel oder Herrn Westerwelle oder gar den ehemaligen US Präsidenten Bush um die Ecke zu bringen ? Vielleicht ist vom Gedanken zur Ausführung ein weiter Weg!? Da sich China nicht gerade als Volksfreunliches Regime präsentiert, wäre ich vorsichtig Attentäter zu seelischen Krüppeln abzustempeln. Weil, mal ehrlich :

    Sind wir nicht alle psychisch krank? Ich denke nur an Epigenetik ( Erkenntnisse über die Vererbung von u.a. Traumatas, Erster und Zweiter Weltkrieg!!!!!). Wir sind alle psychisch krank.

    ( Ich bin ein Zwilling - Gedankensprünge sind für uns Natur. )

  • A
    Anon

    ....hat China strikte Waffengesetze. Diese erschweren den Zugang zu Schusswaffen......

    das hindert die Täter aber auch nicht an der Ausführung der Tat, lediglich das "Werkzeug" wechselt.

     

    So traurig es ist, wo ein Wille, da ein Weg.

     

    Die grosse Frager aber bleibt, woher kam der "Wille"??

     

    Mein Beileid den Angehörigen!!

  • RS
    Reinhold Schramm

    Gibt es übergeordnete Gründe in der Taz-Redaktion Kommentare zurück zu halten?

     

    ANMERKUNG DER REDAKTION: Leider können wir Leserkommentare stets nur mit Verzögerung freischalten, da sämtliche Kommentare vor einer Veröffentlichung von der Onlineredaktion gegengelesen werden müssen. Da davon jeden Tag einige hundert hier ankommen, kann das Freischalten im Einzelfall - wie hier - auch mal etws länger dauern. Wir bitten dafür um Entschuldigung.

  • T
    tm_762

    Läßt sich den da gar nichts unternehmen?

     

    Gibt es nicht genug Doktoren in China?

     

    Könnte man nicht eifach die Messer verbieten? Das doch in Deutschland auch geholfen!

     

    Besorgt

     

    Thorsten

  • K
    karl.aschnikow

    "Psychochologie ist in China eine junge Wissenschaft, da zur Mao-Zeit psychologische Probleme aus Auswüchse des Kapitalismus gegeißelt wurden."

     

    Und jetzt gibt es Kapitalismus in China. Was für ein Zufall!

     

    Das Kapitalismus und dem damit einhergehenden Leistungsprinzip tödlich ist, hat unlängst die ILO, die International Labour Organisation, rausgefunden. Weltweit sterben täglich zwischen fünf- und sechs-tausend Menschen an den direkten Folgen von Arbeit.

    Ebenfalls werden psychologische Krankheiten in der kapitalistischen Wert- und Warengesellschaft produziert, die Folge von menschlicher Entfremdung der einzelnen Konkurrenzsubjekte voneinander, der Sorge vor sozialer Ausgrenzung auf Grund mangelnder Möglichkeiten, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu können und somit die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausbleibt, wie die daraus resultierende Angst, sich nutzlos fühlen zu müssen und von PolitikerInnen, wie KollegInnen sich als "Asozialer" oder "Schmarotzer" beschimpfen zu lassen.

  • M
    Mac-Lennox

    Jede einzelne Nachricht schockierte mich. Und dieser extremen Häufung stehe ich sprachlos gegenüber.

     

    Was ich nicht begreife, ist, dass bei Schulmassakern in den USA und Europa immerzu bei den Tätern - leider erst im Nachhinein - erwiesen werden kann, dass sie ihre bestialischen Taten schon lange im Voraus planten. So dass man strenggenommen nicht von einem Amoklauf reden kann, weil unter einer Amoktat ein recht spontaner Wutausbruch verstanden wird, was ein gezieltes Vorgehen ausschließt. Leider erfährt man dazu nichts aus China.

     

    PS: Derzeit absolviere ich ein mehrmonatiges Praktikum an einem Integrationskindergarten, was meine Betroffenheit zusätzlich erklärt.

  • T
    Tina

    Mein groesstes Beileid fuer die Familien der Kinder .

    Hoffentlich wacht diese Geselschaft auf und hat mehr Mut .

    Ueberall auf der Welt sind Kinder und Frauen die Opfer...

  • W
    Wolfgang

    Sozialpsychologische Aspekte.

    Der Gini-Koeffizient liegt gegenwärtig bei 0,47, und hat damit die kritische Marke überschritten. Die sozial-ökonomische Kluft zwischen Arm und Reich hat die gesellschaftspolitische Grenze überschritten.

     

    "Die Kluft zwischen Arm und Reich ist für die Gesellschaft unzumutbar geworden", sagt der Mikroökonom Chang Xiuze.

    Der Professor für Armutsstudien Li Shi, Beijing, sagte, dass das Einkommen der reichsten zehn Prozent im Jahr 2007 23 mal so hoch war, wie das der ärmsten zehn Prozent der chinesischen Bevölkerung. 1989 betrug dieses durchschnittliche Verhältnis noch das 7,3-fache.

     

    Im Jahr 2009 lag das durchschnittliche Monatseinkommen auf dem Land bei 48 Euro und in der Stadt bei 159 Euro (Währungsumrechnung).

    Nach einer chinesischen Studie wurden alleine im Jahr 2007 rund 4,8 Billionen Yuan (rund 480 Milliarden Euro!) am Fiskus vorbei unterschlagen! Die unterschlagenen Einkommen (vor dem Staat und der Gesellschaft) der Reichen fallen besonders hoch bei Handelsmonopolen aus; auch profitable Branchen wie Immobilienhandel, Kohleminen und Wertpapierhandel setzen hohe Summen von illegalen, der Bevölkerungsmehrheit entzogenen Geldern um. - Diese Verbrechen verstärken auch die soziale Ungleichheit - und haben sozialpsychologische Auswirkungen, künftig auch verstärkt in der Deutschland AG.

     

    Siehe:

    http://german.china.org.cn/fokus/2010-05/12/content_20028866.htm

     

    Siehe auch: Shanghai Daily - China.org.cn - (bereits) am 17.04.2009: "Der Club der Millionäre vergrößert sich".

    http://german.china.cn/china/2009-04/17/content_17623617.htm

     

    analog für die Germany AG:

    Eigentums- und Vermögensverteilung.

    http://www.debatte.info/fileadmin/download/rschramm_10052009.pdf

  • PB
    Philip Böhm

    Nichts gegen den Artikel,

     

    Aber solche Formulierungen wie "zu Tode gehackt" finde ich geschmackslos und eher von ihren Nachbarn in der Axel-Springer Strasse zu erwarten.