piwik no script img

Amnestie in (West) Germany?

„Super“,“Sehr anständig“ - die Reaktionen auf den sonntäglichen Berliner Straßen auf die Ankündigung einer Amnestie in der DDR sind einmütig. Aber wäre das, was für Deutschland (Ost) so einhellig begrüßt wird, auch für Deutschland (West) vorstellbar und wünschenswert? „Nee, vorstellen kann ich mir das hier nicht“, meinen die Befragten. „Der Weizsäcker, der würde das vielleicht machen. Aber der Kohl bestimmt nicht.“ Und wenn der Kanzler doch die Gefängnistore öffnen würde? „Da wär die Hölle los“, weiß ein Müllwerker. Ihm persönlich wäre es ja egal, solange ihm keiner der entlassenen „Knackis“ eins über den Kopf haut. Überraschend wenige der Befragten äußern generelle Bedenken gegen eine Amnestie. „Mörder nein, die sollte man drin lassen. Und Vergewaltiger und die, die so mit Kindern rumgemacht haben“, meint ein jüngerer Mann an der Imbißbude. „Es kommt drauf an, was die Leute gemacht haben. Die, die jemanden verletzt haben, kann man nicht rauslassen, aber die anderen ja“, findet das Ehepaar an der Bushaltestelle, „es sitzen viel zuviele Menschen im Gefängnis wegen irgendwelcher Kleinigkeiten“. Der Mittdreißiger und sein Kumpel fänden eine Amnestie für die „kleinen Fische“ wirklich „jut“. „Die kommen im Knast ja nur auf dumme Gedanken. Man könnte ja so eine Art Arbeitslager machen. Aber einsperren bringt wirklich nichts.“ Ob das im „Westen“ mit einer Amnestie funktionieren würde, da ist die gerade ausgereiste DDR– Rentnerin skeptisch. „Das wären ja so viele, die man hier frei lassen müßte, hier gibt es ja so viel Kriminalität. Bei uns drüben wäre zumindest das Kollektiv, das auf die Leute aufpaßt. Und die Leute haben ihren Arbeitsplatz, wenn sie raus kommen.“ „Man müßte hinterher was für die Leute tun“, meint die Blumenfrau und die „weiß, wie das ist im Knast, ich war selber drin. Eine Amnestie wäre wirklich nötig. Aber man müßte Grenzen ziehen.“ Ihr Freund findet, auch Bankräuber sollten freigelassen werden, wenn sie niemanden verletzt haben. „Das ist doch ungerecht, daß dieser Flick und all diese Minister Millionen Steuern hinterziehen können und die kleinen Leute für nen Bankraub hinter Gittern kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen