: Amnestie für Argentiniens Foltergeneräle
■ Proteste in Buenos Aires nach Begnadigung der letzten acht Generäle und Admirale der Junta/ Während der Militärdiktatur „verschwanden“ 30.000 Menschen/ Präsident Menem rechtfertigt Vergangenheitsverdrängung und Gnadenakt
Buenos Aires (dpa/ap) — Die ehemaligen Mitglieder der argentinischen Militärjunta, die zwischen 1976 und 1983 das Land mit diktatorischer Gewalt regiert haben, und ein führender Guerillero sind am Samstag begnadigt worden. Präsident Carlos Menem verwirklichte damit die in der Öffentlichkeit stark umstrittene Freilassung der 1985 wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilten Offiziere.
Menem hat damit auch die letzten acht Generäle und Admirale freigelassen, die wegen ihrer Rolle während des „schmutzigen Kriegs gegen die Subversion“ nach dem Putsch gegen die Regierung von Isabel Peron am 24. März 1976 im Gefängnis saßen. Es handelt sich um General Jorge Videla (65), Chef der Junta, die am 24. März 1976 die Regierung von Isabel Peron stürzte. Sein Mandat endete am 29. März 1981. Videla wurde wegen 66 Morden und wegen Folter in 93 Fällen im Dezember 1985 zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Admiral Emilio Massera (65), Juntamitglied von 1976 bis 1981, wurde 1985 schuldig gesprochen wegen Mordes in drei Fällen, zwölf Folterungen und 69 Entführungen und zu lebenslänglich verurteilt. Massera wird direkte Verantwortung für die Ermordung Hunderter „Subversiver“ angelastet.
General Roberto Viola (66), 17 Jahre Haft wegen Freiheitsberaubung und Folterung. Viola hatte entscheidenden Anteil an der Planung und Ausführung des Putsches. Er folgte Videla im März 1981 als Präsident (bis Dezember 1981).
Mario Firmenich (41), einer der wenigen Guerillaführer, der die blutigen Auseinandersetzungen überlebt hat. 1970 schloß er sich den Montoneros an, die kurz zuvor General Pedro Aramburu wegen dessen Beteiligung am Sturz von Präsident Juan Domingo Peron 1955 erschossen hatten. Firmenich wurde 1984 wegen der Entführung der Industriellen Juan und Jorge Born im September 1974 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Zwei Menschen starben bei der Aktion. Die Montoneros erpreßten 60 Millionen Dollar Lösegeld.
General Ramon Camps (63) wurde 1976 Polizeichef der Provinz Buenos Aires. Das Gericht befand ihn in 73 Fällen der wiederholten Folterung für schuldig (25 Jahre Haft). Er hatte im „schmutzigen Krieg“ selbst zur Waffe gegriffen, worauf er stolz ist. Nach Aussagen von Opfern war er aktiv an Folterungen beteiligt und wird von Menschenrechtsgruppen für das Verschwinden von mindestens 5.000 Personen verantwortlich gemacht.
General Carlos Suarez Mason (66), Chef des ersten Heereskorps in den Jahren 1976 und 1977, war vor den Prozessen wegen Menschenrechtsverletzungen geflüchtet. Er wird des 39fachen Mordes beschuldigt und wurde 1988 von den USA ausgeliefert. Er war zusammen mit Camps einer der härtesten Verfolger der Opposition. Während der Militärdiktatur sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen 30.000 Personen verschwunden.
Am Sonntag abend haben rund 40.000 Menschen vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires gegen die Begnadigung demonstriert. In einer Meinungsumfrage hatten sich in der vergangenen Woche 71 Prozent der Befragten gegen die Begnadigung ausgesprochen.
Ex-Präsident Raul Alfonsin, in dessen Amtszeit die Prozesse gegen die Militärs fielen, sprach von einem der „traurigsten Tage Argentiniens“. Er verurteilte die Begnadigungen „der obersten Verantwortlichen des Terrorismus und der Menschenrechtsverletzungen in Argentinien“. Der damals für die Anklagen verantwortliche Staatsanwalt Julio Cesar Strassera legte aus Protest seinen Posten als Vertreter Argentiniens vor der UN-Menschenrechtskommission nieder. Humanitäre Organisationen erklärten den Sonntag zum „Protest- und Volkstrauertag“.
Menem, der schon im vergangenen Jahr nach seinem Amtsantritt 39 inhaftierte Generäle und 64 Guerilleros begnadigt hatte, sagte zur Amnestie, mit ihr solle ein düsteres Kapitel der argentinischen Geschichte endgültig geschlossen werden. Menem selbst saß während der Militärdiktatur fünf Jahre im Gefängnis. In der Umgebung des Präsidenten weist man darauf hin, daß sich Menem während der Heeresrevolte Anfang Dezember kaum auf loyale Armeeeinheiten hätte stützen können, wenn er nicht seinerzeit die Militärs begnadigt hätte. Außerdem lehne die Mehrheit der Bevölkerung zwar die Maßnahme ab, doch die größten Sorgen bereite ihr gegenwärtig nicht die blutige Vergangenheit, sondern die Wirtschaftskrise, die das Land heimsucht.
Aus Sicherheitsgründen, so hieß es von militärischer Seite, wurden die meisten Begnadigten bereits in der Nacht zum Sonntag zu einem unbekannten Ziel transportiert. Die beiden Ex-Staatspräsidenten, die Generäle Jorge Videla (65) und Roberto Viola (66), Admiral Emilio Massera (64), die ehemaligen Polizeichefs, die Generäle Ramon Camps und Pablo Ricchieri sowie General Guillermo Suarez Mason wurden mit einem Hubschrauber aus der Haftanstalt in Magdalena rund 100 Kilometer südöstlich von Buenos Aires ausgeflogen. Der Chef der Rebellengruppe „Montonero“, der 42jährige Mario Firmenich, wurde mit einem Auto an einer Hintertür des Gefängnisses in der Hauptstadt abgeholt und konnte so den meisten Journalisten entkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen