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Amerikas Juden zwischen Solidarität und Sorge

Die Siedlungspolitik der Shamir-Regierung stößt in der jüdischen Gemeinde der USA auf harte Kritik / Doch auch die Bush-Administration hat sich bei den jüdischen Organisationen Amerikas nicht gerade beliebt gemacht / Macht man nun eher das Scheckbuch zu und den Mund auf?  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Shamir kommt in Israel zu einer Zeit an die Macht, in der die US-israelischen Beziehungen angespannter sind als je zuvor. US-amerikanische Juden sind besorgt über die sich zuspitzende Krise in den besetzten Gebieten. Es sind die kompromißlosen Äußerungen von Mitgliedern der Shamir -Regierung und die Ansiedlung ausgewanderter sowjetischer Juden in den besetzten Gebieten, die sie beunruhigen.

Und auch ihr Verhältnis zur Israel-Politik der Bush -Administration ist von wachsender Skepsis geprägt. Einige sehen sich von George Bush und Außenminister James Baker durch dessen Israel-kritische Äußerungen vom Dienstag endgültig verraten. Links-liberale amerikanische Juden begrüßen hingegen den verstärkten Druck der Bush -Administration auf Israel.

Die jüdische Lobby in den USA, sonst eine Konstante amerikanischer Politik, sieht sich so einer intern wie extern völlig veränderten Situation gegenüber. Dabei hat die Debatte über ihre Rolle im israelisch-amerikanischen Verhältnis gerade erst begonnen.

Bereits im Dezember 1988 hatte sich ein Wandel in der US -amerikanischen Nahost-Politik angedeutet. Noch unter Ronald Reagan begann Außenminister George Shultz, vorsichtig Kontakt zur PLO aufzunehmen, die dann von der Bush -Administration nach Arafats offizieller Abschwörung terroristischer Aktionen als Gesprächspartner anerkannt wurde.

Der nächste Schreckschuß für Israel kam im Januar 1990. Da forderte der republikanische Minderheitenführer im Senat, Robert Dole, angesichts der geopolitischen Veränderungen eine Neuverteilung der amerikanischen Auslandshilfe. Mit jährlichen drei Milliarden Dollar kann Israel davon bisher 20 Prozent allein auf sich vereinigen.

Kurze Zeit später machte sich Außenminister Baker unter den Führern jüdischer Organisationen in den USA unbeliebt. Im Februar knüpfte er die 400 Millionen Dollar Wohnungsbeihilfen seiner Administration an die Nichtbesiedlung der 1967 besetzten Gebiete. Ein Aufschrei ging schließlich durch die jüdische Gemeinde in den USA, als George Bush Anfang März explizit auch neue jüdische Siedlungen in Ost-Jerusalem verurteilte. „Es gibt kein Thema, bei dem sich die jüdische Gemeinde so einig ist, wie bei dem Punkt Jerusalem“, so erklärte Malcolm Hoenlein, Direktor der 48 jüdische Gruppen repräsentierenden „Conference of Presidents of Major American Jewish Organisations“.

Doch nicht nur die Politik der Bush-Administration, sondern mehr noch die Ereignisse in Israel selbst sorgten in der US -jüdischen Gemeinde für Aufregung und Gewissenskonflikte. Bilder von der brutalen Niederschlagung der palästinensischen Intifada - Bilder, wie man sie sonst aus Südafrika kannte - hatten bei vielen in den letzten beiden Jahren zu einer kritischeren Haltung gegenüber Israel geführt. Als dann im April die heimliche Finanzierung der jüdischen Besetzung des St. Johns Hospiz im christlichen Teil Jerusalems durch die israelische Regierung bekannt wurde, war in den USA für viele Juden die Grenze ihrer Solidarität mit der Shamir-Regierung überschritten.

Die Führer der jüdischen Organisationen befürchteten vor allem, daß der von Shamir gesponsorte jüdische Einzug in den christlichen Teil Jerusalems die Spendenfreudigkeit der US -Juden für die neuen Siedler aus der Sowjetunion mindern könnte. „Vielleicht“, so formulierte es nur wenige Tage später der Kolumnist Richard Cohen in der 'Washington Post‘, „ist für Amerikas Juden jetzt die Zeit gekommen, ihren Mund auf- und ihr Scheckbuch zuzumachen“.

Noch allerdings seien kaum Anzeichen zu erkennen, so meint Michael Lerner vom links-liberalen jüdischen Magazin 'Tikkun‘, daß die großen Spendensammler und Sponsoren Israels in den USA ihre Tätigkeiten aus politischen Gründen zurückschrauben würden. Hin und hergerissen zwischen ihrer Solidarität mit dem jüdischen Staat und dem Wunsch nach einer Lösung des Nahostkonflikts wissen viele in diesen Tagen allerdings kaum noch, wen sie denn zuerst kritisieren sollen: die neue erzkonservative Regierung Shamir für ihr destruktives und gefährliches Verhalten im Konflikt mit den Palästinensern, oder die Bush-Administration für ihr Zögern, nach dem versuchten Attentat am Strand von Tel Aviv die Beziehungen zur PLO abzubrechen.

Trat im Februar diesen Jahres einer Meinungsumfrage zufolge noch eine deutliche Mehrheit der US-amerikanischen Juden für Gespräche mit der PLO ein, so dürfte derzeit eine ähnliche Mehrheit für eine Beendigung der US-palästinensischen Kontakte eintreten: ein Zeichen dafür, wie emotional auch Amerikas Juden auf die Palästinenserfrage reagieren. „Wenn Israel sich heute in einem so üblen Zustand befindet“, so Richard Cohen, „dann ist dies zum Teil auch die Schuld der amerikanischen Juden, die für Israel viel Geld, aber nur wenig Nachdenken übrig haben.“

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