American Pie: Ein ordentliches Kaliber
Trotz Kopfverletzung eines Spielers diskutiert im US-Baseball kaum einer über die Sicherheit der Pitcher
So ein Baseball sieht unscheinbar aus. Weißes Leder, etwa 145 Gramm schwer, siebeneinhalb Zentimeter Durchmesser. Kaum größer als ein Tennisball. Im Gegensatz zu einem Tennisball ist der Baseball aber nicht mit Luft aufgepumpt, sondern mit Kork und Fadenwicklungen gefüllt. So ein Baseball ist hart. Wenn er mit 160, 170 Stundenkilometern angeflogen kommt, verwandelt er sich in eine fast tödliche Waffe.
Eine Erfahrung, die Bryan Mitchell machen musste. Am Montag kam der kaum bekannte Pitcher für die ungleich berühmteren New York Yankees zum Einsatz. Es war erst sein dritter Einsatz für die Yankees von Anfang an, aber Mitchell machte eine gute Figur. Seine Würfe waren hart und platziert, als sein Gegenspieler, Eduardo Núñez von den Minnesota Twins, einen dieser Würfe mit seinem Schläger satt traf. Der Ball kam in Sekundenbruchteilen zurück, Mitchell wollte sich noch ducken, aber es war zu spät. Der Ball touchierte den Pitcher am Kopf, veränderte kaum die Flugbahn, aber Mitchell ging zu Boden, blieb eine halbe Minute regungslos liegen. Bleierne Stille im Yankee Stadium. „Wirklich, wirklich beängstigend“, fand nicht nur Yankees-Manager Joe Girardi die Situation.
Große Erleichterung, als Mitchell aufstehen und aus eigener Kraft vom Spielfeld gehen konnte, ein blutdurchtränktes Handtuch vor dem Gesicht. Die Diagnose im Krankenhaus: eine leichte Nasenfraktur. Wenige Stunden später war er bereits zurück im Stadion; nun wird beobachtet, ob er zudem eine Gehirnerschütterung erlitten hat.
Mitchell hatte Glück. Mehr Glück als sein Kollege Evan Marshall. Der Nachwuchspitcher der Arizona Diamondbacks wurde Anfang August in einem Spiel der zweiten Liga so heftig am Kopf getroffen, dass er operiert werden musste. Erst am Sonntag bekam er in einer zweiten OP 20 Klammern entfernt. Allein in den Major Leagues wurden in den letzten Jahren, rechnete die New York Times vor, acht Pitcher am Kopf getroffen, darunter Aroldis Chapman. Der von den Cincinnati Reds beschäftige Kubaner trägt den Spitznamen „Cuban Missile“ und hält den Rekord für den härtesten, jemals gemessenen Wurf der Baseball-Geschichte mit 169 Stundenkilometern. Wenn solch ein Pitch einen Schlagmann am Kopf trifft, kann das fatal enden. 1920 starb auf diese Weise ein gewisser Ray Chapman von den Cleveland Indians – bis heute das einzige Todesopfer in der Geschichte der Major League Baseball.
Schlagmänner müssen deshalb obligatorisch Helme tragen. Pitcher aber gehen ihrem ebenfalls nicht ganz ungefährlichen Gewerbe in ziemlich genau derselben Berufskleidung nach wie zu Ray Chapmans Zeiten. Die klassische Kappe auf dem Kopf trägt jeder, aber mehr, ein Helm gar, wie ihn Football- oder Eishockey-Spieler tragen müssen, ist verpönt. Im Gegensatz zu diesen Sportarten gilt Baseball, so Yankees-Manager Giradi, zwar als ungefährlich, „aber dieser Ball ist richtig hart und verlässt den Schläger mit sehr hohen Geschwindigkeiten“. Als aber ein gewisser Alex Torres 2013 für die Tampa Bay Rays eine dick gepolsterte Kappe trug, war die Häme groß: Debattiert wurden eher die ästhetischen als die sicherheitsrelevanten Aspekte.
Auch jetzt setzt keine ernsthafte Diskussion ein. Die Traditionalisten sagen reflexhaft: Ein schwerer Helm schränke die Bewegungsabläufe der Pitcher zu stark ein. Wahrscheinlich muss nicht Bryan Mitchell, sondern erst ein Superstar blutüberströmt am Boden liegen, bevor ein Umdenken einsetzt.
Thomas Winkler
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