American Football: Heiß in Eiseskälte
Seit 16 Jahren spielt der wiedererstarkte Quarterback Brett Favre für die Green Bay Packers in Wisconsin und am liebsten bei Eis und Schnee.
Wisconsin liegt im hohen Norden der USA. Jeden Winter haben die Menschen dort zu kämpfen mit Schneemassen, arktischen Temperaturen und der Angst, dass Brett Favre nicht mehr Football spielen könnte. Gegen die ersten beiden Plagen helfen Schneeschaufeln und Wattejacken, gegen Letzteres nur ein Besäufnis in Brett Favres Steakhouse in Green Bay.
Nach 17 Jahren in der Liga ist der Quarterback der Green Bay Packers längst zum Aushängeschild der NFL geworden. Kein Spiel hat er seit 1992 verpasst und zudem in dieser Saison nach einigen schwächeren Jahren auf die Erfolgsspur zurückgefunden. Nach einem überzeugenden 42:20-Sieg gegen die Seattle Seahawks stehen die Packers im Playoff-Halbfinale. Kommenden Sonntag kann der Klub aus der kleinsten NFL-Stadt mit einem Erfolg gegen die New York Giants die Super Bowl erreichen.
Es wäre die dritte Endspiel-Teilnahme für Favre. Als die Packers 1997 in New Orleans gegen die New England Patriots gewannen, war Favre auf dem Höhepunkt seines Könnens. Ein Jahrzehnt später, nach vielen Rückschlägen und alljährlich wiederkehrenden Rücktrittsgedanken, hat sich der mittlerweile 38-jährige Favre neu erfunden. Aus dem risikofreudigen, als "Revolverheld" und Partykönig verschrienen Jungprofi, der stets auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Verantwortungslosigkeit wandelte, ist ein solider Familienvater geworden, der seine statistisch gesehen beste Saison seit elf Jahren abliefert.
In Green Bay lieben sie ihren in Ehren ergrauten Favre. Und haben in Sichtweite zum legendären Lambeau Field, der Spielstätte der Packers, eine Straße nach ihm benannt. "Er ist nicht nur das Symbol der Franchise, sondern der ganzen Stadt", sagt sein langjähriger Teamkollege Donald Driver, "er bedeutet den Leuten hier alles. Es gibt eine ganze Generation Packers-Fans, die können sich gar nicht vorstellen, dass ihre Mannschaft überhaupt jemals ohne Brett existierte."
Nicht nur ist Favre dem 100.000-Einwohner-Städtchen nahezu zwei Jahrzehnte lang treu geblieben, er hat auch Ehekrisen, Medikamenten- und Alkohol-Abhängigkeit öffentlich überstanden und steht mittlerweile an der Spitze nahezu jeder NFL-Statistik. Vor allem aber läuft Favre erst richtig heiß, wenn das Thermometer unter den Gefrierpunkt fällt. Während andere Quarterbacks winterliches Wetter verabscheuen, weil der Ball im bösartigen Gegenwind flattert und zitternden Receivern durch die steifen Finger flutscht, liebt Favre, obwohl er aus dem nahezu tropischen Mississippi stammt, die widrigen Umstände, die in Green Bay garantiert sind.
War die Temperatur unter null, hat Favre nahezu 90 Prozent seiner Spiele gewonnen. So geschneit wie am vergangenen Samstag hat es dabei allerdings noch nie. Als in der zweiten Halbzeit die Schneepflüge auf Feld kamen, um wenigstens die Auslinien freizuräumen, dachte Favre: "Darauf hab ich jetzt 17 Jahre gehofft. Ich wollte einmal in einem dieser legendären Schnee-Spiele dabei sein, wo man den Platz kaum noch sieht und es immer nur schlimmer und noch schlimmer wird."
Das wurde es dann auch. Vor allem für die Gäste aus Seattle. Die aufgrund ihrer Schnelligkeit gefürchteten Seahawks-Verteidiger rutschten auf dem gefrorenen, glitschigen Rasen hin und her wie betrunkene Eiskunstläufer. So konnten sie Favre nicht unter Druck setzen. Der konnte Pass auf Pass komplettieren, in aller Ruhe einen 0:14-Rückstand umbiegen und anschließend zufrieden grinsen: "Ich hoffe, das geht nächste Woche so weiter."
Das könnte durchaus sein. Denn auch für kommenden Sonntag, wenn ein Giants-Team, dessen Stärke ebenfalls in einer schnellen Verteidigung liegt, im Lambeau Field antreten muss, sind wieder arktische Temperaturen angesagt. Die Niederschlagswahrscheinlichkeit beträgt zwar nur 10 Prozent, aber momentan prophezeien die Meteorologen 15 Grad minus. Brett-Favre-Wetter.
Einer bereits jetzt legendären Karriere sollen auch in der kommenden Saison weitere Kapitel hinzugefügt werden. Einer Lokalzeitung sagte Favre, er tendiere dazu, ein weiteres Jahr dranzuhängen. Die Absichtserklärung war Jim Doyle Anlass genug, das politische Tagesgeschäft kurz ruhen zu lassen. Der Gouverneur von Wisconsin ließ in einem offiziellen Statement verlauten, er sei "außer sich vor Freude".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!