American College-Football: Fliegen ist doch schöner
Immer zu Jahresbeginn wird das beste Team im College-Football gekürt. Wie die Finalpaarung zustande kommt, versteht keiner – das sorgt jedoch für angeregte Diskussionen.
Die größten kulturellen Unterschiede zwischen der Alten und der Neuen Welt tun sich wohl zwischen den Jahren auf: Wenn unsereiner gebratene Gans genießt, verspeist der Amerikaner Truthahn. Und während wir, vollgefressen, wie wir sind, verhungerte Männer in Strampelanzügen beim Fliegen ohne Flügel bestaunen, sieht man auf der anderen Seite des großen Wassers muskelbepackten Helmträgern dabei zu, wie sie sich gegenseitig über den Haufen rennen - bei den sogenannten Bowl-Spielen im College-Football.
Die besten Mannschaften der Saison werden belohnt mit einem zusätzlichen Spiel gegen einen vergleichbar starken Gegner. Das freut vor allem die Sport-Direktoren der Unis, die mit den Dollarmillionen aus Eintritt und TV-Geldern oft den gesamten restlichen Spitzensport an den Akademien finanzieren.
Endspiele im eigentlichen Sinne sind die "Bowls" indes nicht. Ein Play-off mit K.-o.-Spielen wie bei den Profis gibt es nicht. Stattdessen wird der Football-Champ durch Wahl ermittelt. Für den "AP Poll" wählen 65 Sportjournalisten die 25 besten Teams, für den "Coaches Poll" stimmen die Trainer der 63 wichtigsten Teams. Die vergleichen nun mitunter Teams, die niemals gegeneinander gespielt haben.
In der bald 140-jährigen Geschichte des College-Football kam es da nicht selten zu einiger Verwirrung. Manches Jahr mussten sich gar mehrere Teams den Titel teilen. Um das zu verhindern, wurde vor zehn Jahren die "Bowl Championship Series" (BCS) installiert - mit dem Ziel, die beste Mannschaft in einem echten Endspiel zu ermitteln. Die Auswahl der Teams stützt sich dabei auf einen Computer-Algorithmus, der sich aus Dutzenden von umstrittenen Polls und obskuren Computer-Ranglisten berechnet, die zum Teil von sportbegeisterten Studenten erstellt werden und alle möglichen absurden Statistiken einbeziehen. So hat das immer wieder leidenschaftlich diskutierte System, das niemand wirklich durchschaut, vor allem eines bewirkt: Die Meisterfindung ist so umstritten wie immer.
Morgen nun treten in der Orange Bowl in Miami im Finale die Florida Gators und die Oklahoma Sooners an. Doch zumindest die Fans in Texas sind der Meinung, dass eigentlich ihre Longhorns im Endspiel hätten stehen müssen. Die gewannen am Montag ihr Bowl-Game 24:21 gegen die Ohio State Buckeyes und haben damit eine einzige Saisonniederlage auf dem Konto - genauso wie Florida und Oklahoma. Texas, so das Argument aus dem Cowboy-Staat, hat allerdings gegen Oklahoma gewonnen und nur gegen die starken Lokalrivalen von Texas Tech verloren, während sich Florida seine Niederlage gegen die vergleichsweise schwächer eingeschätzten Mississippi Rebels einhandelte.
Zu kompliziert? Genauso geht es den meisten Amerikanern auch. Während nun die eine Hälfte alle Jahre wieder ein Play-off-System mit einem eindeutigen Titelträger fordert, plädiert die andere Hälfte für die Traditionen und die sich daraus ergebenden Diskussionen an der Sports-Bar-Theke.
Tatsächlich wäre die amerikanische Sportkultur ohne die Streitereien um den College-Football sehr viel ärmer. So kursiert unter Texas-Fans ein fiktiver Newstext, in dem der BCS-Algorithmus auf den Zweiten Weltkrieg angewendet wird und die Computer zu dem Schluss kommen, dass Hitler-Deutschland 1945 doch gewonnen hat: "Deutschland gelang eine unglaubliche Serie von Siegen beginnend mit dem Anschluss von Österreich und dem Sudetenland, über Erfolge gegen Polen, Frankreich, Norwegen, Schweden, Dänemark, Belgien und die Niederlande. Zu Buche stehen dagegen nur zwei Niederlagen gegen Russland und die USA." Die USA mit zwei Siegen gegen Japan und Deutschland hätten demnach nur Rang vier erreicht. Dann vielleicht doch lieber Skispringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen