Ambient Art etc.: Die Kunst der Party
■ Das „Praxis“-Prinzip: einfach mal einladen
Wer zur Zeit in Berlins Mitte unbedingt i-D braucht, um sich über die letzten Dinge zu informieren, muß das Londoner Magazin nicht bei Dussmann kaufen. Er oder sie kann auch zu „Praxis“ gehen, einem temporären Ausstellungsort, der von i-D mit echtem Geld gesponsort wurde. Entsprechend findet sich dort auch die neueste Ausgabe.
In der „Praxis“, die von Kathie Drescher eingerichtet wurde, geht es um Kunst, Performance, Party, Poetry, und was eben aktuell alles so zusammengeht, in den leerstehenden Erdgeschoßräumen eines Hauses, das gerade renoviert wird. Damit gehört „Praxis“ in die Reihe derjenigen Berliner Events, die die Gunst der Stunde in die Kunst der Party umformatieren.
Bei „Praxis“ trifft man dann u.a. auf die Düsseldorfer Künstlergruppe Tausendmeister. Ebenfalls aus dem Ruhrgebiet kommt der Musiker, genauer der gelernte Schlagzeuger Miniaturenmaler und Multiple- Hersteller Laas Abendroth, der u.a. eine „Monsterfront“ montierte, die aus fünf mal fünf, also fünfundzwanzig grauen Teddystoffquadraten besteht, auf die Plastikkulleraugen aufgebracht sind. Den ganzen Eröffnungsabend war Abendroth damit beschäftigt, die Quadrate immer wieder in ihre ursprüngliche Ordnung zu bringen. Von Peter Vogel, einem Biologen aus Berlin, stammt die Terrariumsinstallation „Wüste“; die drei Kunststoffplatten mit Leuchtbuttons, auf denen einmal das Wort „Default“ erkennbar ist, installierte Manfred Makowski, während der australische Künstler Eric Gradmann sein Ankommen in Berlin derart dokumentierte, daß er einem Raum mit Secondhand-Kleidungsstücken ausgehängt hat, darunter auch ganz gräßliche Perlonstrumpfhosen. Cheap art Protagonist 4000 hat derweil den Gang mit krude bepinselten Leinwandstücken in Brikettgröße ausgehängt – über die Klotür installierte er dankenswerterweise den Hinweis „Kokain-Disko“.
Ob der Tip beim Publikum der Eröffnungsparty wohlwollende Aufnahme fand, ist nicht ohne weiteres zu sagen. Denn trotz des allgemeinen schweren Syndroms eines 70er-Jahre-Revivals mit Glam Symptomen und Studio 54 Fever befinden wir uns in den 90ern. Dennoch, die Stimmung war ziemlich gut. Auf sympathische Weise belegt Kathie Dreschers „Praxis“ eine Theorie, wonach es im gegenwärtigen Kunstbetrieb ein gutes Erfolgskriterium ist, einfach mal anzufangen, einfach mal einzuladen. Denn, so Stefan Heidenreich in „Was verspricht die Kunst?“ (Berlin Verlag): Ausgebildete Kenntnisse schmälern nur die Unvoreingenommenheit gegen das noch nicht Erprobte und binden an das Alte. Und sie schmälern auch die Unvoreingenommenheit bei der Zusammenstellung der Gästeliste. Die Berichterstatterin identifizierte endlich Rainald Goetz als Rainald Goetz, nachdem er spontan ein Intro zur Lesung von Westbam gab. Auch andere Namen hatten plötzlich Gesichter, wie das so nett altmodisch anmutende von Christian Kracht („Faserland“), der überhaupt ein bißchen so aussieht, als sei er einem Bilderbuch der 30er Jahre entsprungen, so proper und irgendwie putzig sang er mit Benjamin v. Stukrad-Barre das Karo Kaffee Lied von Volker Lechtenbrink. V. Stukrad-Barre las dann aus seinem „Soloalbum“, das sich Roman nennt, und dann ging das Licht aus. Das heißt, es fiel der Strom aus. Stukrad-Barre, mit Mag Lite versehen, drang aber auch so durch, und dann ging das Licht auch wieder an. Brigitte Werneburg
Bis 21. 12., Wöhlertstr. 20, Mi., Fr., Sa. 16–18, So. 15–18 Uhr
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