La Strada-Festival: Amadeus bis Zappa
■ In der Stunde vor Mitternacht irren noch heute und morgen die Schatten vom Musikspiel „Wohin Fliegender Holländer“ über die Zeltwände einer Rotunde in den Wallanlagen
Nur die Sterne fehlten. Sonst waren alle Zutaten da, die ein makelloses Idyll ausmachen, sogar das Waldesrauschen kam, oder war es vielleicht doch das Schaben der Trambahnräder auf der nahegelegenen Herdentorstraße. Aber immerhin ragt hinter den fünf Leinwänden, auf denen die Schatten spielen, ein echter Baum auf. Wie die beiden Macher von „Wohin Fliegender Holländer“, Stefan Berthold und Peter Friemer, neulich ihr Konzept vorstellten und ein bisschen zu oft das heikle Wörtchen „Freiheit“ zerkauten, stellte sich ein gewisser Kitschverdacht ein. Er wurde nicht bestätigt. Zwar wird der Besucher von süffigen Klängen und pathetischen Bildern bombadiert und manchmal fragt sich die BesucherIn, ob soviel Überwältigungsästhetik auch erlaubt ist, aber irgendwann entschließt man sich dann doch zur Antwort JaJaJa.
Auf der Schattenwand sieht man eine Tänzerin, die in abstrakten Wolkengebausche herumhüpft und droht, sich in einem Verhau aus Seilen zu verheddert. Fratzen, die der Ästhetik afrikanischer Masken abgelauscht sind, glotzen den Zuschauer in undurchsichtiger Weise an. Auf einem Balkon deklamiert ein schwarzer Mann Tagebuchiges, das man vielleicht wirklich nur zu nachtschlafener Stunde kurz vor Mitternacht verdauen kann. Unter ihm zirpt ein Damenchor in madenartiger Verkleidung. Gegenüber rockt Peter Friemer mit seiner hybriden Band, die aus einer Rockband und Mitgliedern des Kaffehausorchesters fusioniert wurde und die ganze Musikgeschichte von A bis Z (zum Beispiel Amadeus bis Zappa) als Materiallager verwendet und nahtstellenfrei zusammenlötet. Und irgendwann tanzen Dutzende kleiner Leuchtwesen irrwischartig durch den ganzen Himmel – doch noch Sterne.
Von der Handlung des Fliegenden Holländers ist nicht allzu viel übrig geblieben, Wagners Idee des Gesamtkunstwerkes aber wurde neu durchdacht. Der Clou der Technik des Schattenspiels ist, dass sie Dimensionensprünge ermöglicht und Mensch und Zeichen auf einer Ebene agieren: Je nach Entfernung zur Lichtquelle werden Menschen mal zu Zwergen, mal zu Riesen, und ihr Umriss ist nicht greifbarer als der einer Holzleiter. Schon die alten genialen James-Bond-Intros mit den nackten Tänzerinnen in Schattenrisstechnik zeigten, dass der Mensch als Silhouette endlich so geheimnisvoll wirkt, wie er doch immer so schrecklich gerne sein möchte. bk
12.+13. 8. 23 h, 15/18 Mark
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